"Emine aus Incesu"
Foto: 3sat
Eine junge Frau, gerade 18 Jahre alt, verlässt ihre Familie, um eine Arbeitsstelle anzutreten. Drei Tage dauert die Fahrt, am Ziel ihrer Reise ist sie auch in einem fremden Sprach- und Kulturraum angekommen. Die neue Umgebung ist einschüchternd, Angst einflößend - sie trägt einen Ring am Finger und kleidet sich (ein Rat der Oma) "wie eine alte Frau".

1966 gehörte Emine aus dem anatolischen Dorf Incesu zu jener ersten Generation von türkischen Migrantinnen, die auf Anwerben der Regierung in die Bundesrepublik kamen. Rund vierzig Jahre später lebt Emine immer noch in Bayern. Selbst hat sie nie richtig Deutsch gelernt, aber ihren Töchtern und dem Sohn hat sie berufliche Qualifikation und ein Aufwachsen mit Distanz zu den engen Traditionen der Heimat ermöglicht. Erst mit 55, so Emines Bruder, habe sie gelernt, Nein zu sagen, auch zu ihrem einst vom Vater ausgesuchten Ehemann, von dem sie sich schließlich trennte.

Das Filmporträt von Barbara Trottnow erzählt also auch eine Emanzipationsgeschichte, und es erinnert - auch im Blick auf Emines Töchter - daran, wie Berufstätigkeit Frauen Freiräume erschließen kann.

"Emine aus Incesu" eröffnet am Sonntag um 21.15 Uhr den aktuellen 3sat-Schwerpunkt zum Thema "Migration". Anschließend läuft "Das Arrangement" von Nathalie Borgers, die 2005 junge Migrantinnen in Wien zu ihrem unterschiedlichen Umgang mit der Tradition der arrangierten Ehe befragte. Der Kultursender zeigt mit dieser Reihe - im Übrigen nicht zum ersten Mal -, was das Fernsehen abseits seiner tagesaktuellen Berichterstattung mit dem längeren Atem dokumentarischer Beobachtungen an Differenzierung leisten kann. (irr, DER STANDARD, Print, 13./14.5.2006)