Sie sind hier aufgewachsen und teilen sich in jene, die den Schleier ihrer kulturellen Herkunft ablegen, und jene, die die Traditionen des Islam beibehalten. Manche balancieren am unsicheren Mittelweg. Der Dialog ist für viele Studierende die Lösung kultureller Spannungen.

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Wien/Innsbruck/Brüssel/Qum –Die Bilder an der Wand mit Backpapier überklebt, Männer hocken auf einer grauen Matte, Schuhe stehen verstreut daneben – das ist der muslimische Gebetsraum im Afro- Asiatischen Institut (AAI) in der Türkenstraße, Wien. Freitag nachmittags treffen sich hier rund 70 Gläubige. Dem vornehmlich auf Arabisch gesprochenen Gebet folgt eine deutsche Übersetzung. Frauen dürften beten, aber es sind nur Männer anwesend.

Asim Bojadzi studiert Jus in Wien und ist fast jeden Freitag im AAI beim Gebet. Zu seinem festen Glauben fand er mit 21 Jahren "nach einer Phase des Ausprobierens". Er ist überzeugt, "dass die größte Herausforderung im Leben ist, seinen Glauben zu finden". Der Bosnier kann sich "natürlich" eine Ehe mit einer Nicht-Muslimin vorstellen, besser fände er es, wenn "sie zum Islam finden würde". Für ihn bedeutet der Islam "die Lösung vieler Probleme in der kapitalistischen Gesellschaft".

Liebe versus Glaube

Gül Alkan (24), Politikwissenschaftsstudentin, trägt kein Kopftuch. Die in Österreich geborene Alevitin beklagt das Desinteresse am jeweilig anderen Lebensstil, der anderen Kultur: "Das beruht auf Gegenseitigkeit, das machen auch die Österreicher so." Dies führe zu Problemen vor allem für die zweite Generation, die "in der Mitte zerquetscht" würde: "Die eine Seite fragt vorwurfsvoll, warum werdet ihr wie Österreicher, die andere, wieso bleibt ihr wie Türken?"

Ihre Freundin Ülya Tekgündüz (27) studiert BWL und Theaterwissenschaft. Eine Heirat mit einem Nichtmuslimen kann sich sich "nicht vorstellen. Es würde auf lange Sicht nicht gut gehen", sagt Ülya. Gül sieht das anders: "Ich kann es nicht ausschließen, weil ich nicht weiß, in wen ich mich verlieben werde. Das Problem ist nur, meine Familie würde mich dann nicht mehr unterstützen", ist sie sich bewusst. Öznur Kan dagegen trägt ein Kopftuch. Die 23-jährige Sunnitin "würde gern Lehrerin in der Türkei werden". Derzeit studiert sie Englisch und Mathematik auf Lehramt in Wien. Mit einem Nichtmuslimen könnte sie keine Ehe eingehen. "Ich bin derzeit mit einem Aleviten zusammen und da gibt es schon genug Diskrepanzen. Die Familien akzeptieren sich gegenseitig einfach nicht", erläutert Öznur die prekäre Lage.

Yeliz Dagdevir leitet eine Dialoggruppe in Innsbruck. Sie ist überzeugt, dass das Kennenlernen "gängige Klischees entkräftigt". Seit den Anschlägen auf die Twin-Towers seien "gewisse Klischees verstärkt worden". Assoziationen von Gewalt und Islam kämen zu häufig vor. "Die Leute sind vorsichtiger geworden gegenüber Muslimen", so Yeliz. "Abweichende Blicke und Beschimpfungen auf der Straße kommen vor." Man werde als Bedrohung empfunden.

Verständnisfragen

Der Muslim Hamid Kasiri habilitierte in katholischer Theologie in Innsbruck. Nun unterrichtet er das Christentum im iranischen Qum, und auch in Innsbruck erfreuen sich seine Vorlesungen großer Beliebtheit. "Es war wirklich wunderbar", sagt er zum UniStandard, "dass sich die katholische Kirche für einen Muslimen geöffnet hat". Er wäre der Erste gewesen. Der Dialog liegt ihm auch im Iran am Herzen. Für November sei ein weiteres Treffen im Qum mit Innsbrucker Theologen geplant. "Das ist ein wahres Zeichen des richtigen und wahren Verständnisses zwischen Schia-Islam und der katholischen Kirche", ist Kasiri begeistert. Spannungen könne man "nur durch ein authentisches und psychologisches Verständnis verringern".

Es herrsche großes Interesse am Islam in Europa. Für das heilige Land wünscht er sich, "dass die drei theologischen Schulen nebeneinander ohne Konflikt und Schwierigkeiten leben können".

Identität und Tradition

"Ich halte jeden Menschen für politisch, unabhängig welche Religion er hat", meint Khallad Swaid, Präsident der FEMYSO (Forum of European Muslim Youth and Student Organisations): "Ich sehe mich als politischen Muslim." Ziel der Organisation ist die Schaffung einer "europäisch-muslimischen" Identität. "So wie man Österreicher und Christ sein kann, kann man Muslim und Europäer sein", betont Swaid, da beides jeweils "auf unterschiedlichen Ebenen stattfinde." Darüber hinaus müssten sich die "Europäer eingestehen, dass Vieles, was europäisch ist, auf Errungenschaften der islamischen Tradition baut: Die Null hat ein Moslem erfunden."

Der Verein "Wonder" sponsert türkischen Studierenden von den stark religiös-konservativen Imam-Hatip-Schulen, welchen per Gesetz, Punkte vom Uni-Aufnahmeprüfungsergebnis abgezogen werden, ein Studium in Österreich, wo es im Gegensatz zur Türkei erlaubt ist, als Frau ein Kopftuch zu tragen. (UNISTANDARD, 11. Mai 2006)