"Korruption wird vom Kreml gesponsert": Robert Amsterdam.

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Wien – "Die Korruption in Russland steigt in einem kaum vorstellbaren Ausmaß. Einige Gruppen sagen, sie habe seit 2003 um das Zehnfache, andere sagen, um das Vierfache zugenommen. Aber weder die Leute im Land noch der Westen machen die Präsidialverwaltung dafür verantwortlich, dass das Krebsgeschwür der Korruption völlig außer Kontrolle geraten ist." Zur gleichen Zeit, da der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Nation vor dem Parlament in Moskau die Korruption anprangert, liefert der renommierte Menschenrechtsanwalt Robert R. Amsterdam im Gespräch mit Journalisten in Wien seine eigene Analyse der Lage in Russland.

Amsterdam ist Chefverteidiger des russischen "Oligarchen" Michail Chodorkowski, der vor einem Jahr wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und anderer Vergehen zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Der Prozess wird allgemein als politisch motiviertes Verfahren mit dem Ziel gesehen, Chodorkowski wegen seiner politischen Ambitionen aus dem Verkehr zu ziehen und ein Exempel zu statuieren. Der einstige Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos verbüßt seine Strafe in einem sibirischen Gefangenenlager. Dort wurde er vor Kurzem von einem Mithäftling mit einem Messer schwer verletzt. Vom Wachpersonal sei Chodorkowski "für eine Spezialbehandlung ausgesondert" worden, sagt der Anwalt.

Amsterdam, der Aufenthaltsverbot in Russland hat, und die anderen Anwälte Chodorkowskis haben den Fall inzwischen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. In Russland selbst gingen sie durch alle Instanzen, der Spruch des Höchstgerichts steht noch aus. Aber für den Anwalt ist klar, "dass dies ein politischer Fall ist, der eine politische Lösung erfordert".

Russland sei eine "antiinstitutionelle Macht", sagt Amsterdam. Der Apparat um Putin, die viel zitierten "silowiki" (Leute aus Geheimdienst und Militär), sei dazu da, die Institutionen zu schwächen. Die Korruption werde vom Kreml nicht nur nicht bekämpft, sondern gesponsert und sei "der Motor von Menschenrechtsverletzungen". "Sieben Männer um Putin kontrollieren ein Vermögen von 300 Milliarden Dollar."

Europa wirft Amsterdam eine richtungslose Russlandpolitik vor. Die EU müsse ihren Dialog mit Moskau "mit Integrität" führen und nicht, wie Kommissionspräsident José Manuel Barros bei seinem jüngsten Besuch, vor dem Kreml in die Knie gehen. US- Vizepräsident Dick Cheney habe bei seiner jüngsten Kritik an Russland (Rückschritte im Demokratisierungsprozess, Energieressourcen als politisches Druckmittel) vielleicht nicht den richtigen Ton, aber den Kern der Sache getroffen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, Print, 11.5.2006)