John Thackara ist überzeugt, dass es in Designprozessen darum geht, Menschen mit unterschiedlichem Background zusammenzubringen und sie vor eine inspirierende Aufgabe zu stellen: "Wer als Forscher oder Entwickler Karriere machen will, muss sich immer mehr spezialisieren und verliert schnell den breiten Blick auf die Dinge."

Foto: Standard/John Thackara, privat

Der Design-Experte John Thackara ortet einen eindeutigen Trend zu Umweltbewusstsein. Mit Karin Pollack sprach er über die Wechselwirkung von Technik und Fashion, über Nachhaltigkeit und die Rolle des Users beim Entwerfen neuer Technologien.


STANDARD: Herr Thackara, Sie sagen seit Jahren: "Wir wissen doch längst, was Informations-und Kommunikationstechnologie ist, aber wozu brauchen wir sie eigentlich?", und provozieren damit die IT-Branche.
Thackara: Die Frage verwirrt Entwickler immer noch, weil sie gewöhnt sind, Probleme, vor die sie gestellt werden, um der Probleme selbst willen zu lösen. User-Bedürfnisse kümmern die meisten viel zu spät.

STANDARD: Ihr Vorschlag?
Thackara: Bei Designprozessen geht es immer um den Mix aus verschiedenen Menschen, Berufen, Denkansätzen und Talenten.

STANDARD: Das allein reicht?
Thackara: Nein, es geht auch um eine inspirierende Fragestellung. Das ist die wahre Herausforderung heute: interessante Fragen zu finden.

STANDARD: Das klingt einfach.
Thackara: Ist es aber keineswegs. Ich kann das ja alles leicht sagen, doch wer als Forscher Karriere machen will, der muss sich spezialisieren, und verliert schnell den breiten Blick auf die Dinge.

STANDARD: Welche Entwicklung hat Sie kürzlich beeindruckt?
Thackara: Die Einstellung der Menschen zur Umwelt. Da findet gerade ein Mentalitätswandel statt.

STANDARD: Ist grüne Technologie also der neue Hype?
Thackara: Könnte sein, denn wir haben immer gesagt, dass eine technische Entwicklung erst Mode werden muss, um wirklich nachhaltig zu sein. Und jetzt gibt es eine grüne Ausgabe der Modezeitschrift Vanity Fair, in der alle möglichen Berühmtheiten "grüne Dinge tun" und Models grüne Kleider tragen. Und Brad Pitt leiht seine Stimme einer US-Umwelt-Sendereihe.

STANDARD: Entwicklungen brauchen also ihre Zeit?
Thackara: Ich habe aufgehört, mich als Futurologe zu begreifen. Wer immer in die Zukunft blickt, verliert die Gegenwart aus den Augen.

STANDARD: Was brauchen Forscher für nachhaltiges Arbeiten?
Thackara: Forschungsstandorte sind oft viel zu isolierte Orte, denen der Bezug zum wirklichen Leben fehlt. Vor allem angewandte Forschung braucht den Bezug zum Alltag, um Probleme überhaupt erst erkennen zu können.

STANDARD: Ein Beispiel?
Thackara: Ich denke gerade an die Walking-Bus-Initiativen, die es im angloamerikanischen Raum gibt. Kinder bewegen sich zu wenig, deshalb organisiert man "Gehgemeinschaften". Man könnte sie durch Technik wie Handy, GPS oder RFID unterstützen. Im Labor lässt sich das nicht planen.

STANDARD: Aber es gibt doch Mobiltelefone?
Thackara: Das stimmt. Meine Tochter zum Beispiel organisiert ihr Leben ausschließlich mit dem Mobiltelefon. Anders als ich, der ich all diese vielen elektronischen Hilfsmittel wie Mobiltelefon, PDA mit Kalenderfunktion oder Projekt-Management-Software habe.

STANDARD: Es geht also um unterschiedliche Art der Human-Computer-Interaction?
Thackara: Die meisten Designer sind zwischen 20 und 30 und können sich nicht in ältere Menschen hineinversetzen. Wenn die Verbindung zwischen Design und Erfahrung nicht besteht, dann werden gewisse Dinge eben nicht genutzt.

STANDARD: Wie ist das zu vermeiden?
Thackara: Das Usability-Rezept heißt: nicht für User, sondern mit Usern designen, und zwar niemals punktuell, sondern kontinuierlich.

STANDARD: Bei Apples iPod ist das passiert?
Thackara: Demografisch betrachtet sind die Leute, die den iPod entwickelt haben, ungefähr so alt wie die, die ihn heute nutzen.

STANDARD: Das bedeutet also, dass Pensionisten bald für Pensionisten entwerfen?
Thackara: Smarte Unternehmen überlegen sich schon Konzepte in diese Richtung. Es geht um neue Werte. Ökonomisch betrachtet ist Technologie ja längst kein Garant mehr für Erfolg, sondern nur mehr Teil eines wesentlich größeren Konzeptes.

STANDARD: Was betrachten Sie als erfolgreiches Projekt?
Thackara: Car-Sharing, Das war vor fünf Jahren eine Katastrophe, und heute funktioniert es in Amsterdam hervorragend. In kürzester Zeit lässt sich ein wirklich schickes Auto organisieren. Dahinter liegen eine Menge Usability, Service-Design und Logistik.

STANDARD: Sie werden am 11. Mai im MAK über Kommunikation in Europa sprechen? Thackara: Ich bin da, um ein bisschen positiven Ärger zu erzeugen. Man muss die richtigen Fragen stellen. Ich stehe der Kommunikationsbranche und ihren tausenden Botschaften sehr kritisch gegenüber. Innovation und Technologie verhalten sich ähnlich zueinander wie Innovation und Kommunikation. Für beide gilt: zuhören lernen. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 10.5. 2006)