Stefan Bertschi und Ingo Starz (Hgg.):
Anna Blume trifft Zuckmayer. 60 legendäre Dichter in Originalaufnahmen 1901-2004. Lesungen, Reden, Gespräche. 25,90 Euro/2CD. der hörverlag, München 2006.

Tipp

Das Hörbuch wird am Dienstag (9.5.) um 19.30 Uhr im Literaturhaus Wien, 1070 Wien, Zieglergasse 26a, präsentiert.

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Arthur Schnitzler war einer der ersten Autoren, deren Stimme für die Nachwelt aufgezeichnet wurde.

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Wien - So stellt man sich die Stimme der Literatur gemeinhin vor. Leise tönt sie und ist nur mit Mühe zu vernehmen, so schwer hat sie mit dem Alltagslärm zu kämpfen. Die Stimme ist hier jedoch ausnahmsweise kein Sinnbild, sondern eine höchst reale: jene Arthur Schnitzlers.

Schnitzler zählte Anfang des 20. Jahrhunderts neben Marie von Ebner-Eschenbach und Hugo von Hofmannsthal zu den ersten Autoren, deren Stimmen für die Nachwelt aufgezeichnet wurden. Das Wiener Phonogrammarchiv, das "sämtliche Sprachen und Dialekte unseres Vaterlandes" dokumentieren sollte, leistete damit auf dem Gebiet der medialen Aufbereitung von Literatur Pionierarbeit.

Die Technik steckte damals freilich noch in den Kinderschuhen: Aus den besprochenen Wachsplatten ließen sich zwar dauerhafte Kopien aus Metall und Epoxidharz anfertigen, das Rauschen der Aufnahmen allerdings verschluckte die Stimmen der Dichter fast vollständig. Nur Hofmannsthals Raunen vermochte sich bereits Gehör zu verschaffen.

Dass man diesen frühen Tondokumenten heute bequem vom Ohrensessel aus lauschen kann, ist den beiden Schweizern Stefan Bertschi und Ingo Starz zu verdanken. Mit Anna Blume trifft Carl Zuckmayer haben die beiden eine Art akustisches Literaturarchiv zusammengestellt, wie es bislang beispiellos ist. Auf zwei CDs findet sich hier ein Querschnitt durch alle Tonlagen deutschsprachiger Dichtung von 1901 bis 2004.

Grass, Schwitters

Es sind engagierte Stimmen (Günter Grass) zu hören ebenso wie Lautdichter (Kurt Schwitters); es sind Lesungen enthalten, aber auch Reden (u. a. Elfriede Jelineks Nobelpreisrede Im Abseits), Gespräche, Performances und Lieder (fulminant: Wolfgang Bauers Bundeshymnen-Neudichtung Österreich).

Autoren aus ihrem eigenen Werk lesen oder sie sprechen zu hören ist eine merkwürdige Erfahrung. Einige auf dem Papier große Dichter verfügten nur über kleine Stimmen und versagten beim Vortrag, während eher mittelmäßige Kollegen in ihren Bann zu ziehen wussten. Und wer hätte gedacht, dass Alfred Döblin als Redner eine wahre Pointenschleuder war? Dann gibt es noch die, bei denen Stimme und Text eins geworden waren. Die Präzision und Pointiertheit, mit der hier Thomas Bernhard seine Kürzesterzählung Der Diktator ins Mikrofon sprach, erreichten nur die wenigsten seiner zahlreichen Interpreten. In der Tat: Sehr stimmig. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.5.2006)