"Ich bin der Überzeugung, dass Gödels Einfluss in Zukunft sogar größer sein wird - auch wenn das von einigen Kollegen in Zweifel gezogen wurde", so Roger Penrose.

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Der renommierte Physiker Roger Penrose nützte die Arbeiten von Kurt Gödel, um daraus eine heftig diskutierte Kritik der künstlichen Intelligenz zu entwickeln. Klaus Taschwer sprach mit dem Redner des Gödel-Kongresses über die neue Art der Physik.


STANDARD: Von einigen Vortragenden des Gödel-Kongresses wurde bezweifelt, dass seine Arbeiten für die Mathematik oder die Physik wirklich wichtig gewesen wären.
Penrose: Es stimmt schon, dass Gödels Werk in der normalen Mathematik keinen großen Einfluss hatte, aber das konnte man auch nicht erwarten. Für die Physik gilt Ähnliches. Wenn es aber um mathematische Logik und die Mengenlehre geht, ist sein Unvollständigkeitstheorem nach wie vor einflussreich.

STANDARD: Sie behaupten, dass er auch für die Forschungen über künstliche Intelligenz und vor allem: ihre Kritik wichtig ist. Warum?
Penrose: Wie ich in meinen Büchern Schatten des Geistes und Computerdenken oder eben bei meinem Vortrag im Rathaus zu zeigen versuchte, kann man aus Gödels Unvollständigkeitssatz die Grenzen von Modellen aufzeigen, die den menschlichen Geist als einen Computer beschreiben. Denn man kann mit Gödel argumentieren, dass die Erkenntnisprozesse, die in unserem Gehirn ablaufen, sich nicht auf mechanische Prozeduren reduzieren lassen, die in Computern einprogrammiert werden können.

STANDARD: Es gab aber auch die umgekehrten Versuche: Der US-Computerwissenschafter Douglas Hofstadter hat Gödel in seinem Besteller "Gödel, Escher, Bach" für das Gegenteil zu nützen versucht - also für die Möglichkeit einer "starken" künstlichen Intelligenz, die dem menschliche Denken durchaus ebenbürtig ist.
Penrose: Im Grunde hat das schon mit Alan Turing begonnen, der darüber spekulierte, ob Computer je menschliches Verhalten würden imitieren können. Turing meinte, dass das unter bestimmten Bedingungen möglich sein könnte. Seiner damaligen Meinung nach hätte man dafür bloß sehr große Rechenmaschinen gebraucht, die hundertmal größer gewesen wären als der größte damalige Computer. Heute klingt das einigermaßen lächerlich, weil unsere Computer einige Millionen Mal leistungsfähiger sind als damals. Doch nach wie vor sind wir sehr weit davon entfernt, an die menschliche Intelligenz heranzureichen. Einige Leute glauben immer noch, dass es einfach ausreichen würde, noch bessere Computer zu haben. Das ist eine Haltung, die nach wie vor sehr verbreitet ist und auch am Symposium vertreten wurde. Andererseits sind die Vertreter der "starken" künstlichen Intelligenz schon einmal optimistischer gewesen, als sie es heute sind.

STANDARD: Bis jetzt scheinen Sie mit Ihrer Skepsis jedenfalls Recht behalten zu haben, obwohl Ihre Arbeiten immer wieder heftig kritisiert wurden.
Penrose: Das Interessante dabei war, dass ich nicht nur von den Vertretern der künstlichen Intelligenz heftig angegriffen wurde, denen ich Reduktionismus vorwarf - also eine übertriebene Vereinfachung des menschlichen Geistes. Kritik kam und kommt auch vonseiten der Philosophie und aus dem religiösen Lager, denen ich wiederum zu reduktionistisch war. Auf dem Symposium jetzt in Wien gab es allerdings weniger Widerstand gegen meine Argumente, als ich erwartet hatte.

STANDARD: Besonders umstritten ist Ihre physikalische Idee des Bewusstseins, das für Sie die Voraussetzung für menschliche Intelligenz ist. Sie meinen, dass es irgendwo in den Nanostrukturen des Gehirns und seiner Nervenzellen zu suchen wäre. Gibt es dafür mittlerweile irgendwelche konkreten Hinweise?
Penrose: Ich denke, dass die Leute zumindest anerkennen, dass im Gehirn mehr passiert als bloß das Feuern der Neuronen. Mein Kollege Stuart Hameroff, mit dem ich diese Ideen entwickelt habe, interessiert sich unter anderem dafür, was im Gehirn während der Bewusstlosigkeit passiert. Und da zeigt sich, dass selbst in dem Zustand die Neuronen ihre Tätigkeit keineswegs aufgeben. Bewusstsein muss also irgendwo weiter "unten" in den Zellen beheimatet sein. Wir vermuten, dass das im Zellskelett ist und dass da quantenmechanische Effekte eine wichtige Rolle spielen. Ein anderer Hinweis sind Einzeller und andere einfache Lebensformen, die ebenfalls Reaktionsmuster zeigen, ohne selbst Neuronen zu haben. Mir scheint, als ob es mittlerweile etwas mehr Zustimmung für unsere These gibt, dass man tiefer in die Gehirnzellen reinschauen muss. Klar, unsere konkreten Ideen sind nach wie vor umstritten. Aber das bedeutet immerhin, dass sie nicht ignoriert werden.

STANDARD: Zugleich gehen Sie auch davon aus, dass es eine neue Art der Physik braucht - nicht zuletzt, um diese quantenmechanischen Effekte im Gehirn besser beschreiben zu können.
Penrose: Auch das ist zugegebenermaßen eine kontroversiell diskutierte Frage. Viele Physiker wie zum Beispiel Anton Zeilinger haben da ganz eine andere Haltung als ich. Aber meiner Meinung nach gibt es wirklich einen Bedarf nach etwas ganz Neuem. Die Quantenmechanik ist augenscheinlich eine sehr gute Annäherung - ähnlich wie es die Newton'sche Physik für viele Jahrhunderte gewesen ist. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Quantenphysik nicht so lange Bestand haben wird wie die von Newton, die ja von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie aufgehoben und ersetzt wurde. Das wird eine völlig neue physikalische Theorie sein, die mit der Quantenmechanik nicht mehr viel zu tun haben wird und die auch bedeutsam sein wird für das bessere Verständnis des menschlichen Bewusstseins. Und sie wird eine tiefe Verbindung mit Gödels Arbeiten haben.

STANDARD: Sie meinen also, dass man Gödels Arbeiten auch noch in 50 Jahren ernst nehmen wird? Penrose: Ich bin der Überzeugung, dass sein Einfluss in Zukunft sogar größer sein wird - auch wenn das von einigen Kollegen in Zweifel gezogen wurde. Ich denke, dass man in Zukunft vor allem in der Physik Auswirkungen seines Denkens entdecken wird, die wir heute noch gar nicht erahnen. Ich bin der Überzeugung, dass Gödels Einfluss in Zukunft sogar größer sein wird - auch wenn das von einigen Kollegen in Zweifel gezogen wurde. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 3.5. 2006)