Alexander Bogner, Jahrgang 1969, ist Soziologe und hat in Salzburg, Marburg und Frankfurt a. M. studiert. Seit 2002 ist er Mitarbeiter am Institut für Technikfolgenabschätzung im Bereich Biotechnologie.

Markus Hengstschläger, geboren 1968 in Linz, ist Fachhumangenetiker. Nach einem Forschungsaufenthalt in Yale begann er 1995 mit dem Aufbau eines pränatalmedizinisches Labors an der Universität Wien. 2004 wurde er dort Professor für Medizinische Genetik und leitet seit 2005 die Genetik-Abteilung an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und am Wunschbaby-Zentrum in Wien.

Genetik bringt Fortschritt, nur in der Fortpflanzungsmedizin ist sie aus ethischen Gründen umstritten - zu Unrecht, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger im Gespräch mit Karin Pollack, und der Soziologe Alexander Bogner erklärt, warum das Thema heikel ist. - Das Problem in der Diskussion ist, dass wir viele genetische Erkrankungen zwar diagnostizieren, aber noch nicht behandeln können.

Standard: Pränataldiagnostik (PND) in der Schwangerschaft ist fast Routine. Was bringt sie?

Hengstschläger: Von den jährlich ca 80.000 Geburten in Österreich ist jedes zehnte Kind genetisch getestet. Es gibt Erkrankungen wie das Adrenogenitale Syndrom (Zwitterbildung), das sich, in der zehnten Schwangerschaftswoche entdeckt, behandeln lässt. Das ist die Grundidee der genetischen Diagnostik. Genetiker können Dinge vorhersehen. Doch die Zahl der genetischen Erkrankungen, für die es weder Prophylaxe noch Therapie gibt, ist groß. Viele Paare entscheiden sich nach der PND gegen die Geburt eines schwer kranken Kindes.

Bogner: In der öffentlichen Debatte beginnt aber genau hier das Problem, denn bei PND geht es im öffentlichen Diskurs selten um die positiven Aspekte. Stattdessen stehen ethische Aspekte im Mittelpunkt, Fragen wie: Wann beginnt Leben? Was ist Krankheit? Wie gehen wir mit Behinderung um?

STANDARD: Wie steht ein Genetiker zu ethischen Fragen?

Hengstschläger: Das wahre Problem ist doch, dass wir viele genetische Erkrankungen zwar diagnostizieren, aber nicht behandeln können.

STANDARD: Was ist normal?

Hengstschläger: Ich antworte mit einem Beispiel. Unlängst war ein gehörloses Paar bei mir. Sie wollten wissen, ob die Gehörlosigkeit genetisch verankert ist und ob man das pränatal diagnostizieren könnte. Das Paar wollte nämlich ein gehörloses Kind. Bis dahin dachte ich, hörend sei gesund, gehörlos krank. Die Genetik und ihre Möglichkeiten definieren den Begriff der Krankheit neu.

Bogner: Doch denken wir dieses Beispiel durch. Für den Arzt können sich Konflikte ergeben: Handelt er ausschließlich nach medizinischen Kriterien, berücksichtigt er die Autonomie des Patienten nicht; orientiert er sich an Patientenwünschen, wird er zum Dienstleister - ein Beispiel für die Brisanz unterschiedlicher Normvorstellungen.

STANDARD: Und Babys nach Maß?

Hengstschläger: Gibt es nicht. Diese Vorstellung ist eine gedankliche Erfindung und genetisch nicht möglich. Bei allem, was ich tue, brauche ich eine medizinische Notwendigkeit. Ich bin nicht dafür, dass Eltern so wie in China ein Kind abtreiben, weil es ein Mädchen und kein Bub ist. In Österreich sagen wir den Eltern das Geschlecht ihrer Kinder erst nach der zwölften Woche und entziehen uns damit der Entscheidung.

Bogner: Die quälende Frage lautet: Wo ziehen wir die Grenze? Die Genetik ist nämlich eine Wissenschaft, die mehr kann, als das, worüber in einer Gesellschaft ethischer Konsens herrscht. Es kommt auf die kulturelle Prägung an.

STANDARD: Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID), die im Rahmen einer künstlichen Befruchtung durchgeführt wird, spitzt sich die Lage zu, denn da entscheidet der Genetiker, welcher Embryo leben darf?

Hengstschläger: Es entscheiden immer die Eltern. PND gibt Eltern mit erhöhtem Risiko einer genetischen Erkrankung - also Frauen ab 35, Trägern von genetischen Defekten - die Möglichkeit, sich unter Umständen gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden. Diese Möglichkeit haben sie in Österreich theoretisch sogar bis zum Einsetzen der Wehen. Es ist möglich, ein Kind mit einem Stich ins Herz zu töten. Die PID bietet die Möglichkeit, Risikopatientinnen dabei zu unterstützen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen und darüber empört man sich, weil es im Reagenzglas geschieht.

STANDARD: Was verbessert PID?

Hengstschläger: Wenn eine Frau ein Kind an eine schwere genetische Krankheit verloren hat, hat der Genetiker die Möglichkeit, das für ihre zukünftigen Kinder zu verhindern. Und zwar besser als mit den Methoden der PND. Statt schwanger zu werden, dann die Untersuchung zu absolvieren und eventuell abzutreiben, lässt sich bei künstlicher Befruchtung und PID dieses Risiko ausschließen. Entweder die Eizelle (bei der ethisch unbedenklichen Polkörperdiagnostik) oder der Embryo (Blastomeranalyse) wird untersucht und nur dann in den Uterus eingesetzt, wenn er die entsprechende genetische Veränderung nicht aufweist.

Bogner: Bei der PID geht der Streit darum, was menschliches Leben ist. Da gehen die Meinungen hoffnungslos auseinander: Ist der frühe Embryo ein Zellhaufen, den man beforschen darf? Oder handelt es sich um schützenswertes Leben, das mit Menschenwürde ausgestattet ist? Diese ethischen Fragen sind sozialer Sprengstoff. Denn es geht, sagen die Forschungskritiker, um Selektion von Leben, und seit dem Nationalsozialismus haben wir da ein Problem. Auch Behinderten-Organisationen argumentieren in diesem Sinne dagegen, weil sie ihr eigenes Existenzrecht so verteidigen.

STANDARD: Ein Embryo im Mutterleib ist schlechter geschützt als in der Petrischale?

Bogner: Ja, sagen die PID-Befürworter und fordern eine Liberalisierung. Halt, sagen die PID-Kritiker, der Vergleich zwischen PND und PID ist schief. In dieser Debatte gibt es für jedes Pro- immer auch ein Kontra-Argument. Nehmen wir den Aspekt der Eltern-Kind-Beziehung. Müssen Eltern ein Kind um seiner selbst Willen annehmen, ohne irgendwelche Merkmale bestimmen zu wollen? Oder sind Kinder nicht seit jeher Objekte elterlicher Fortpflanzungsentscheidungen?

Hengstschläger: In der Vergangenheit verhinderte die Spirale zum Beispiel nicht die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, sondern das Einnisten in die Gebärmutter. PID liegt - was den Entwicklungsstand betrifft - vor diesem Stadium. Wenn ich die Lebensfähigkeit eines Embryos untersuchen kann, dann will ich das tun. Ich will einer Frau mit Kinderwunsch nicht mehr, wie bisher, auch tote Embryonen einsetzen, wenn ich das im Vorfeld ausschließen kann.

STANDARD: Was ist mit Eltern, die Stammzellen für ein krankes Kind brauchen und deshalb ein neues Kind zeugen, das eine Reihe von Kriterien erfüllen muss . . .

Hengstschläger: Das ist ethisch betrachtet der schwierigste Fall. Für mich läge eine sehr schwer wiegende medizinische Indikation vor.

STANDARD: Doch das zeigt doch mögliche Perspektiven auf . . .

Bogner: Ja, vertraute Unterscheidungen wie gesund/ krank oder normal/unnormal werden unscharf. Das erzeugt Unsicherheit. Skeptiker weisen dann auf die Eigenlogik von Technologien hin . . .

Hengstschläger: Das wäre ja so, als ob man das Messer verbieten würde, nur weil man damit töten kann . . .

Bogner: Beim Messer ist der Fall klar: Wir alle wissen, was töten ist. In Fragen der Embryonenforschung ist eine solche Bewertung aber umstritten. Das macht es auch für die Politik so schwierig, die diese Fragen ungeklärt und damit Ärzte in ihren täglichen Entscheidungen alleine lässt.

Hengstschläger: Das stimmt, die Menschen wissen zu wenig, weil die Diskussion meist einseitig und auf bestimmte ethische Fragen zugespitzt geführt wird. Ich möchte hier betonen: Es kein Zufall ist, dass alle Fachrichtungen auf die molekulare Medizin setzen, um endlich den Grund für Erkrankungen herauszufinden und sie dann eines Tages auch therapieren zu können. Fortpflanzungsmedizin ist ein sehr emotional besetzter Teil dieser Entwicklung.

STANDARD: Was kann der Gesetzgeber tun?

Hengstschläger: Das Gesetz ist schwammig und stammt aus einer Zeit, als es PID in Österreich noch nicht gab. Die Polkörperdiagnostik ist uneingeschränkt erlaubt, die Blastomeranalyse ist ein bisschen erlaubt, dann, wenn sie "zur Erreichung einer Schwangerschaft führt". Das ist zu wenig.

Bogner: Das Gesundheitsministerium könnte Aufklärung leisten und untersuchen, wie sich die Einstellung der Bevölkerung zur PID, zu Krankheit, Behinderung oder Elternschaft verändert. Von selbst lösen sich Probleme nicht. (Medstandard 02.05.2006/Karin Pollack)