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Dave Gahan ist ein schöner Mann. Mit den hohen Wangenknochen, den dunklen Haaren und traurigen Augen sieht der "Depeche Mode"-Sänger aus wie ein männliches Schneewittchen. Aber Gahans Look und Body sind nur sekundäre Gründe dafür, dass der 44-Jährige seit ein paar Wochen in der Werbekampagne des schwedischen Mode-Designers J. Lindeberg zu sehen ist. Was Johan Lindeberg von Gahan will, ist die Aura des Rockstars - Freiheit, Dekadenz und Demontage -, die dem Betrachter entgegenwehen soll, als sei das Plakat ein offenes Fenster. Lindeberg pflegt selbst einen extravaganten Stil, trägt Musketierbart und das dünne, graue Haar schulterlang. Er sagt: "Wir sind Pioniere, eine Bewegung. Wir sind Rockstars."

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Bei den Modeschauen für die jetzige Saison saßen Rockstars wie Mick Jagger und David Bowie nicht nur im Publikum: Rock 'n' Roll-Klone bevölkerten auch den Laufsteg. Ein beinahe lebensechter Jim Morrison lief für Boss Orange. Axl-Rose-Lookalikes für Comme des Garcons und Number (N)ine. Und Hedi Slimane verpflichtete für seine Dior Homme sogar die "echten" Pete Doherty (Babyshambles) und Alex Kapranos (Franz Ferdinand). Prompt feiert die Fachpresse "Music-Style", "Retro-Rock" und "Mod-Chic". "Der Einfluss der Musik auf die Mode war nie größer", behauptet das Magazin "Best Fashion", "dieses Mal inspirieren uns coole Mods, smarte Rockabillys und lässige Glamrocker." Was denn nun? Fehlen nur noch Grunge, Hippie-Rock, Psychobilly, Emocore, Wave, Garage, oder welche Subkulturen sonst noch seit 1950 mit einer Gitarre und ein bisschen Wut im Bauch den Rock neu erfunden haben.

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Für derartige musikhistorische Spitzfindigkeiten aber hat die Mode-Industrie keine Zeit. Mit "Rock" verbindet man hier eine diffuse Vorstellung vom "guten und wilden Leben". Und wenn man dann das Ohr an ein Shirt im "Music-Style" hält, dann zittert der Stoff wie eine Subwoofer-Membran von den vielen Rekursen und Zitaten - allein, man versteht nichts, es ist eine große Kakofonie.
Wie zwei Massenplaneten, die sich im luftleeren Raum drehen, üben Rock- und Modewelt eine große Anziehungskraft aufeinander aus. Als David Bowie noch Ziggy Stardust und der Thin White Duke war, da hatte er Kansai Yamamoto. Als Mick Jagger noch nicht wie eine Echse aussah, hatte er Ossie Clarke, und die Sex Pistols hatten Vivienne Westwood und Malcolm McLaren. Ihren ersten Höhepunkt erreichte die Rock-Mode-Fusion bereits zu Zeiten des Glamrock, der mit seinem manierierten Maskenspiel und der Auflösung der tradierten Geschlechteridentitäten einen farbenfrohen Kult der Künstlichkeit betrieb.

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Nun schneidert Dior-Designer Hedi Slimane den Strokes, Franz Ferdinand und den Babyshambles seine clean-engen Anzughülsen auf die androgynen Körper. Franz Ferdinand-Sänger Alex Kapranos wurde prompt in die GQ-Liste der "100 wichtigsten Männer der Mode" gewählt. "Die Designer fühlen sich von den Rockstars angezogen", meint die Wiener Modehistorikerin Ingrid Loschek, "diese schlanken Dandys strahlen eine feminine Härte aus und sind so kompatibel zum Männlichkeitsbild der Modewelt."

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Rock- und Popstars sind für die Modebranche wichtige Figuren. Sie sind Musen und Models, Mega-Consumer und Kreative. Und manchmal fallen all diese Rollen auch in einer Person zusammen, wie etwa bei Sean Combs oder Jay-Z, die zu Armani und Versace erst beste Beziehungen unterhielten und heute ihre eigenen Labels betreiben. Rockstars gelten als authentische Instanz und deshalb als gute Werbefiguren. Musik und Mode stehen so in einem symbiotischen Austausch, bei dem neben Geld auch subtilere Währungen wie Street Credibility und Medienpräsenz über den Tisch gehen. "My Adidas", der Klassiker der In-Song-Werbung von RunDMC, das ist doch gar nichts. Beyoncé Knowles beschreibt sich in einem ihrer Lieder folgendermaßen: "Ich bin das scharfe Mädel mit den strammen Schenkeln im Marc-Jacobs-Mini. Fabelhaft, glamourös - ganz mühelos. (...) Ein Kunstwerk in Gucci-Klamotten."

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Die Nähe zwischen Musik- und Modewelt wäre nicht möglich, wenn beide nicht ähnlich ticken würden: Sowohl in der Musik als auch in der Mode gibt es Stars, Trends, Mainstream, Abstürze, Flüchtigkeit und Intensität, Begeisterung für den Fortschritt der Vergangenheit und feste Regeln, die mit dem Wort "zyklisch" nur sehr grob beschrieben sind. In gewisser Weise arbeiten Rock 'n' Roll und Haute Couture sogar mit ähnlichen Stilmitteln wie Zitat, Schock und Provokation - weder die nackten Pobacken von Prince noch die durchsichtigen Chiffon-Blusen aus Paris sind im Alltag wirklich tragbar. Ein Soziologe würde Rock und Mode deshalb wohl als "interpenetrierende Systeme" beschreiben, das heißt, dass sich die beiden Sphären berühren, durchdringen und vermischen. Der sexuelle Subtext passt da ganz gut: Denn wenn Mode und Rock aufeinander prallen, dann wird geglitzert, geschwitzt, gestöhnt, geliebt und gestorben. Kurz: Es geht um große Gefühle oder zumindest um deren Aufführung.

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Wenn man von Rock 'n' Roll als Lifestyle spricht, dann ist damit gemeint, dass Jugendkultur mehr beinhaltet als Musik, dass Fans sich von ihren Ikonen auch soziokulturelle Codes wie Make-up, Habitus, Gesten, Accessoires, Vokabeln oder gleich ganze Bewusstseinsmodule aneignen. Ein Beispiel dafür ist der "Seattle Grunge" - dessen Revival spätestens seit dem von Number (N)ine ausgelösten "Sleaze-Rock"-Hype in den nächsten Monaten unausweichlich ist. Anfang der Neunzigerjahre wurde nicht nur der wütende Gitarrenrock von Bands wie Nirvana oder Pearl Jam populär, sondern auch Holzfällerhemden, Chucks und die No-Future-Attitüde der Highschool-Abbrecher. Die Lifestyle-Industrie identifiziert und reproduziert binnen Kurzem die Stilessenz der Subkultur und sorgt mit ihrem vertikal integrierten Distributionssystem dafür, dass man auf der ganzen Welt neben der Musik auch die anderen Identifikationsmodule kaufen kann. "Aber Jugendliche haben es immer geschafft, sich den Idolen anzunähern", sagt Ingrid Loschek, "früher haben wir den Petticoat eben selbst geschneidert. Aber der Massenkonsum erleichtert es sicherlich."

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So war der Pork-Pie-Hut - das Markenzeichen von Pete Doherty - Ende vergangenen Jahres für einige hundert Euro bei Dior und Armani zu kaufen. Heute kostet das Teil bei H&M sieben Euro. Der Moment, in dem die Balance zwischen Rock und Mode kippte, die Musiker ihren Status als quasiautonome Trendsetter verloren und die Mode-Industrie und Label-Agenten begannen, die Rocker nach den neuesten Marktforschungs-Studien auszustatten, war wohl ausgerechnet die Geburt des ach so anarchischen Punk. "Zuerst kam das Medium Mode - dann die Musik", meint zumindest Malcolm McLaren, der mit Vivienne Westwood 1970 die Boutique "Let It Rock" in der Londoner King's Road eröffnete und später die Sex Pistols produzierte: "Nur die Mode hat diese außergewöhnliche Kraft, eine massenhafte Identität herzustellen. Sie ist sofort erkennbar als Rüstung, Abzeichen, Uniform - als Waffe."
(Tobias Moorstedt/Der Standard/rondo/28/04/2006)

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