Ewald Nowotny dürfte derzeit nicht nur das amerikanische Zivilrecht, sondern auch "Murphy's Law" studieren. Bei der Bawag P.S.K. ist seit seinem Amtsantritt trotz all seiner Bemühen um Normalität alles schief gegangen, was schief gehen kann. Und die Schläge kommen in Größenordnungen, die das Vorstellungsvermögen normaler Bürger übersteigt: 400 Millionen Euro Verlust durch den Refco-Kredit im Herbst, eine Milliarde Miese in der Karibik, und nun eine Milliarde, die Refco-Gläubiger vor einem US-Gericht von der Bawag fordern.

Eine Klage ist noch kein Urteil, und die Bawag muss die New Yorker Streitsumme noch lange nicht in den Rauchfang schreiben. Aber die Klagsschrift hat eine Qualität, die Nowotny schlaflose Nächte bereiten sollte: Sie klingt äußerst plausibel.

Denn wenn die Bawag P.S.K. unter Helmut Elsner und Johann Zwettler tatsächlich über Jahre hinweg der Brokerfirma Refco geholfen hat, ihre maroden Bilanzen durch kurzfristige Kredite zu verschönern, dann erklärt sich auch, warum der Bawag-Vorstand an einem Sonntag im Oktober Refco-Chef Philipp Bennett einen 350-Millionen-Kredit nachgeworfen hat, obwohl ein kurzer Anruf in New York ausgereicht hätte, um alles über dessen massiven Probleme zu erfahren.

Hatte Bennett vielleicht bestimmte Druckmittel gegen die Bawag in der Hand? Wenn die Klage der Refco-Gläubiger stimmt, dann ja. Vieles deutet auch darauf hin, dass Bennett der Bawag beim Verstecken ihrer Karibik-Verluste geholfen hat - und damit auch ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch gedeckt hat. In einer solchen Lage fragt man nicht lange nach, wenn der Partner plötzlich dringend Geld fordert.

All das sind derzeit nur Vermutungen, die sich alle in Luft auflösen können. Aber der Ausgang von US-Gerichtsverfahren ist auch für viel größere Konzerne unberechenbar. Und dass selbst der Gewerkschaftsbewegung gewogene Beobachter den Ex-Managern Elsner, Zwettler und Co jede Schandtat zutrauen, sollte nicht überraschend.

Eine in der Karibik verzockte Milliarde ist eine abstrakte Summe, aber ein Luxus-Penthouse in der Wiener Innenstadt, das ein Bankenchef seinem Vorgänger auf Kosten der Bank um einen Bruchteil des Werts verkauft, nachdem dieser die Bank fast ruiniert hat und bereits mit Millionen abgefertigt worden ist - das kann sich jeder Mensch vorstellen, der je verzweifelt eine günstige Wohnung gesucht hat.

Was immer in diesen Affären am Ende juristisch herauskommt - die Penthouse-Ethik hat die Bawag-Chefs offensichtlich auch in ihren Auslandsgeschäften geleitet. Dies führt - wenn nicht ins Kriminal - zumindest ins finanzielle Verderben. Nowotny ist da von einem ganz anderen Schlag, aber er muss die vergiftete Suppe nun auslöffeln. Denn angesichts des konkret gewordenen US-Prozessrisikos drohen Bankenpartner nervös zu werden, Gläubiger höhere Zinsen zu verlangen und die bisher treuen Kunden davonzulaufen.

Das Pech ist auch dem Tandem ÖGB-SPÖ treu: Eine unerprobte und zerstrittene Gewerkschaftsführung muss zusehen, wie ihre finanziellen wie politischen Strategien zerbröseln. In der jetzigen Situation ist die Bawag unverkäuflich, und das bedeutet, dass der einst legendäre Streikfonds praktisch leer ist. Und statt die Bawag-Affäre durch einen Verkauf noch vor den Nationalratswahlen zu bereinigen, muss SPÖ-Chef Gusenbauer damit rechnen, dass die Bank den ganzen Wahlkampf hindurch Schlagzeilen produzieren wird.

Dass die Nationalbank und andere inländische Großbanken bereits einen Krisenplan für den Fall vorbereiten, dass die Bawag in eine echte finanzielle Schieflage gerät, wird den Eigentümern nicht helfen. Den Bankern geht es um den Ruf und die Stabilität des heimischen Finanzmarkts. Ob der ÖGB einen Rest seines Vermögens und die SPÖ ihre Wahlchancen retten kann, ist ihnen kein Anliegen - und inzwischen auch immer mehr Bürgern egal. Die Opfer der Penthouse-Ethik sind vor allem die eigenen Genossen. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.4.2006)