Dass sich die Déjà-vu-Erlebnisse in jüngster Zeit häufen, mag Zufall sein. Die jüngsten Studentenproteste erinnern frappant an 1968. Wenn in Kellereien chilenischer Wein in die Kanalisation abgelassen wird, dann sind die Bilder der umgekippten Tankzüge mit italienischem Wein auf südfranzösischen Autobahnen, die man aus der Zeit um 1970 im Kopf hat, nicht fern.

Während derzeit die Auguren rätseln, ob der Vorkaufspreis für Château Latour, Lafite oder Mouton-Rothschild des Traumjahrgangs 2005 250, 300 oder gar 400 Euro pro Flasche erreichen wird (bezahlt wird jetzt, ausgeliefert 2008), weiß der kleine Winzer in Bordeaux nicht mehr, wie er seine Kreditzinsen abstottern soll. Den Kredit brauchte er, um seine Rebflächen zu erweitern, damals, als die Fassweinpreise noch in Ordnung waren, während sie heute im Keller liegen. Fachleute meinen, dass etwa zehn Prozent der Bordelaiser Winzerschaft von der Insolvenz bedroht sind.

Die Ursachen der Krise sind bekannt. Da ist zum einen der immer noch sinkende Pro-Kopf-Verbrauch. Waren es um 1960 noch knapp über 100 Liter, die sich Monsieur und Madame jährlich zu Mittag und am Abend in die Gläser gossen, ist man heute bei 53 Litern angelangt, Tendenz weiter deutlich fallend. Letzteres ist zum Teil auf die Einführung der 0,5-Promille-Grenze für Autofahrer zurückzuführen, zum Teil auf die Anti-Alkohol-Kampagne einer Regierung, die sich als Objekt ausgerechnet den Wein ausgesucht hat. Nicht wenige meinen, dass der französische Wein auch ein Kulturgut mit immensem weltweiten Stellenwert ist, das da über einen Kamm geschoren wird.

Dazu kommt, dass Frankreichs Weinexport ebenfalls tief in der Krise steckt. Nicht für die schon erwähnten Luxusweine, für die in guten Jahren beinahe jeder Preis verlangt werden kann. Doch in Jahren, die vom US-Markt weniger goutiert werden, finden diese Weine ihren Weg in die "grandes surfaces", wie Frankreich Supermärkte heißen, um dort wesentlich wohlfeiler angeboten zu werden. Dazu kommt eine schwerfällige Agrarbürokratie, die es den Qualitätsweinbaugebieten bis in allerjüngste Zeit untersagte, eine Rebsorte aufs Etikett zu schreiben. Für den Export ist das eine Katastrophe, denn die Rebsorte ist der erste Anknüpfungspunkt, den ein Käufer mit einem ihm unbekannten Wein hat.

Wie man aus dem Schlamassel wieder herauskommt? Patentrezept gibt es keines. Die EU-gestützte Destillation von Wein zu Industriealkohol kann's nicht sein. Verstärkte Bemühungen im Export sollten mittelfristig greifen, auch wenn der Kampf um den Käufer im Supermarkt in London, Tokio, Sidney oder New York kein leichter ist. (Michael Prónay, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.4.2006)