Allein ihr Name war Furcht einflößend. Gu-drun Pau-se-wang. Wenn ich diese fünf Silben als Jugendlicher aussprach, lösten sie eine Kettenreaktion im Gehirn aus: Haarausfall, Fall-out, Tod. Denn Gudrun Pausewang hat "Die Wolke" geschrieben. Das Buch erzählt kurze Zeit nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl von einem GAU im deutschen Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Derzeit läuft "Die Wolke" auch in den Kinos - ein verkitschter Katastrophenfilm, empfohlen von Greenpeace. Mehr muss man eigentlich nicht wissen. Vielleicht aber doch, gerade deshalb.

Seit Erscheinen des Buchs mussten es Generationen von Schülern im Unterricht lesen, auch ich. Wir waren damals jünger als die 14-jährige Hauptperson Janna-Berta. Ihre fiebrigen Albträume haben uns nicht ruhen lassen. Aber als sie sich umdrehte, ragte vor ihr die Ruine des Atomreaktors empor, zerrissen, zersplittert, geborsten. Reinhard und Almut waren plötzlich auch da, beide ohne Haare auf dem Kopf. Sie hatten Stöcke in der Hand und scharrten damit in der Asche. "Nicht!", rief Janna-Berta erschrocken. "Das Zeug strahlt doch noch. Lauft fort!"

Pausewang hat mehrere Katastrophenromane geschrieben, darunter "Die letzten Kinder von Schewenborn", das nach einem Atombombenabwurf auf Deutschland spielt, und "Der Schlund", in dem ein neofaschistischer Diktator die Macht übernimmt. Es ist das vermutlich schlechteste gut gemeinte Buch zum Thema Rechtsextremismus: Miserabel informiert, voller Klischees und lächerlicher Pointen.

An einer Stelle wird Thomas Gottschalk in ein Lager gesperrt. "Lehrerin der Angst" hat die Zeit Pausewang einmal genannt. Das trifft es gut. Der Regen in ihren Büchern ist sauer. Moralinsauer. Gut und Böse sind scharf getrennt. Die Guten sind Vegetarier. Sie fahren VW-Bus, nehmen verstrahlte Kinder mit und sagen Sätze wie: "Tschernobyl war noch nicht genug. Es muss erst hier bei uns passieren, damit es dem Bundesbürger den Hintern aus dem Sessel reißt." Böse sind "die Politiker" und allgemein "Bonzen".

Das Weltbild, das "die Wolke" vermittelt, ist einfach und bis heute sehr beliebt: Der Mensch überschätzt sich, er entfremdet sich seiner wahren Natur durch Habgier und Gleichgültigkeit. Sobald eine Katastrophe passiert, "geht die ganze Zivilisationstünche ab". Dann denkt jeder nur an sich, dann werden Kinder überfahren, faschistoide Strukturen aufgebaut.

Nur eine mutige Jugend in bunten Pullis rettet die Gesellschaft, die durch eine Katastrophe gehen muss, um so idyllisch zu werden wie früher, bevor es den Kapitalismus und die Großtechnologien gab. Dass sich die meisten Menschen im Katastrophenfall keineswegs asozial verhalten - was zuletzt der Tsunami und selbst New Orleans gezeigt haben - passt nicht in dieses moralisch überfrachtete Weltbild. "Jetzt werden wir nicht mehr sagen können, wir hätten von nichts gewusst" ist dem Buch als Motto vorangestellt, so als ginge es nicht um das Für und Wider einer komplexen Technologie, sondern um Auschwitz.

Man stelle sich vor, ein Autor hätte 1987 einen Roman geschrieben, in dem DDR-nahe Ökovegetarier uns zwingen, stromlos in einer vormodernen, egalitären Hölle zu leben. Die Guten wären mutige Kinder von Atomlobbyisten, die Bösen engagierte Lehrer und "die Umweltschützer". Wir wären empört, wenn unsere Kinder so einen Unfug in der Schule lesen müssten. Ein Buch, das die Story umgekehrt erzählt, steht noch 20 Jahre später auf Lehrplänen. Eigentlich ein Albtraum. Doch kürzlich hat just Frau Pausewang in einem Interview auch das gesagt: "Ich glaube, wir unterschätzen unsere jungen Leute. Sie lassen sich nicht ihre Denkweise von Erwachsenen vorschreiben." Ein beruhigender Gedanke. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.4.2006)