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Der Welt größtes Kondom - Anlässlich einer Erotik-Messe 2004 in Sao Paulo aufgestellt.

foto: apa/EPA/CAETANO BARREIRA
Der Vatikan überlegt, verheirateten Aids-Kranken die Kondom-Benützung zu erlauben. Ein Dokument wird vorbereitet, zu große Freiheiten wird es nicht bringen. Kirchenleute sprechen von einem ersten Schritt.

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Auf die Eröffnung des Mailänder Kardinals Carlo Maria Martini reagierte der Vatikan in gewohnter Weise: mit Schweigen. Martini hatte am Wochenende im Nachrichtenmagazin L'Espresso die Benützung des Kondoms bei Ansteckungsgefahr eines Ehepartner mit Aids als "kleineres Übel" befürwortet.

Die erste offizielle Äußerung kam schließlich aus dem Munde des mexikanischen Kardinals Javier Lozano Barragàn. Der Vorsitzende des Päpstlichen Rates für Gesundheit kündigte nun ein entsprechendes Dokument an.

Päpstlicher Auftrag

"Der Papst hat uns beauftragt, ein Grundsatzpapier zu diesem schwierigen und delikaten Problem zu erstellen, das zur Zeit von Theologen und Wissenschaftern erarbeitet wird. Es wird in einigen Monaten vorliegen." Experten bezweifeln allerdings, dass Martinis Stellungnahme als Anzeichen einer bevorstehenden Lockerung der kirchlichen Haltung interpretiert werden könne.

"Das schließe ich aus", erklärt Orazio Petrosillo, "Vaticanista" der römischen Tageszeitung Messaggero. "Es gibt etliche Moraltheologen, die so denken wie Martini. Aber von der Kurie wird diese Auffassung nicht geteilt." Petrosillo warnt vor einem Missverständnis: "Die Kirche zieht bei ihren Erwägungen nur offizielle Ehen in Betracht. Sie äußert sich nicht zur Verwendung des Kondoms in außerehelichen Beziehungen, die sie bekanntlich verurteilt."

Frage der Doktrin

Das von Kardinal Barragàn angekündigte Dokument werde natürlich von der Glaubenskongregation geprüft. Schließlich "geht es hier um eine Frage der Doktrin", versichert Perosillo dem STANDARD.

Nicht so skeptisch zeigt sich Roberto Monteforte, Vatikanexperte des römischen Tagblatts Unità. "Martinis Öffnung wird nicht ohne Folgen bleiben. Es gibt in der kirchlichen Hierarchie etliche, die seine Auffassung teilen - vom Schweizer Kardinal Marie Martin Cottier bis zur belgischen Bischofskonferenz. Wichtig ist dabei der Aspekt, dass das Kondom nicht zur Verhütung benützt wird, sondern zur Vermeidung einer Ansteckung. Es ist vom kleineren Übel die Rede. Dies ist eine Formulierung für einen Tatbestand, den die Kirche eigentlich verurteilt, für den sie aber ein gewisses Verständnis signalisiert."

Absehbar

In den Reihen heimischer Theologen wird die vorsichtige Aufweichung des vatikanischen Neins zu Kondomen begrüßt. "Es ist ein wichtiger Schritt, der aber auch absehbar war", zeigt sich der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner im Gespräch mit dem STANDARD kaum überrascht. "Man kann nicht dauerhaft die beiden Werte Ehe und Gesundheit aufeinander prallen lassen und gegeneinander ausspielen. Es hat sich abgezeichnet, dass da etwas passieren wird", so Zulehner.

Außerdem sei der Druck jener "Missionare, die gesagt haben, es muss sich was ändern und wenn wir das Übel Kondom in Kauf nehmen", stetig größer geworden, so Zulehner.

Der Grazer Moraltheologe Walter Schaupper sieht in dem Schritt eine "nötige Kurskorrektur und den Willen zum Umdenken". Es sei dies jetzt ein "erster Schritt in die richtige Richtung, dem noch weitere folgen könnten". Dass sich das Dokument zur Verwendung von Kondomen in Zusammenhang mit HIV-Infektionen nur auf die Ehe beschränkt, sei klar. "Die Sexualität spielt sich für die katholische Kirche eben nur in der Ehe ab", so Schaupper.

Für den Vorstand der Aids-Hilfe Oberösterreich, Erich Gattner, steht jetzt erstmals die "Vernunft für die Gesundheit vor überholten religiösen Werten". Mit diesem "begrüßenswerten Dokument" werde "nicht mehr alles einfach unter den Teppich gekehrt". (DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2006)