Es war am Sonntag. In Baden. Weil wir dort zu einer Vernissage eines nicht unbekannten Künstlers samt anschließendem Abendessen bei der Galeristin geladen waren. Aber zumindest an unserem Tisch war es dann nicht das Wirken und Werken des Malers, das die Konversation dominierte, sondern das Mozartjahr. Weil das auch Baden fest im Griff hält. Aber wenn wir nicht in der Renngasse geparkt hätten, hätten wir das vermutlich gar nicht bemerkt.

In jedem Fall gab A. nachher zu, dass ich ausnahmsweise recht gehabt hatte: Die Auslage per abzufotografieren war doch richtig gewesen. Weil mir sonst – wieder einmal – niemand geglaubt hätte. Jedenfalls saßen B. (Direktor eines größeren Theaters) und S. (eine österreichische Fotolegende) mit leicht fassungslosen Mienen da, als ich von der Mozart-Schuhpasta erzählte. Und lachten mich aus.

Foto: Thomas Rottenberg

Lügengeschichten?

Wir alle hätten, brachte B. es dann auf den Punkt, heute schon viel Schwachsinn gehört. Etwa die Geschichte, dass im NIG einst Abwasser in noch nicht ans Abflussnetz angeschlossene Abflüsse gefüllt worden sei, woraufhin ein darunterliegendes Institut – inklusive Bibliothek - unter Wasser gestanden habe, und man die durchnässten Bücher zuerst schockgefroren und dann highspeed-aufgeheizt habe – nur so seine sie zu retten gewesen. Oder die Erzählung, dass ein Computerservicemann einem Kunden erklärt habe, er müsse seine Festplatte einfrieren – nur so wären seine Daten auf dem gecrashten Volume noch zu retten. Oder die Mär, dass ein einstiger Burgtheaterdirektor mit amtlicher Hilfe binnen eines einzigen Tages sowohl die Matura als auch seinen Studienabschluss absolviert habe.

All das, so B. sei schon unglaubwürdig, unterhaltsam oder österreichsich genug um nie und nimmer wahr sein zu können. Aber die Sache mit der Mozart-Schupasta gehe nun wirklich zu weit: So unglaublich das Mozartjahr und all seine Auswüchse auch wären – das glaube mir nun wirklich keiner.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Auslage

Aber das liegt nur daran, dass weder B. noch S. (noch sonst jemand an unserem Tisch oder in der Runde) in der Badener Renngasse geparkt hatte. Oder aber – wenn doch – einfach blind an dem Schuhgeschäft vorbei gegangen war: Das handgezeichnete Mozart-Bild mit dem Schuhpasta-Werbetipp hängt nämlich dort. In der Auslage. Gleich neben den Schuhpastadosen mit dem Mozart-Kopf drauf. Und zum Glück hatte ich mich A.s Seufzer, ich würde mich nur zum Affen machen, wenn ich am Sonntagnachmittag in Baden die Auslage eines Schuhgeschäftes fotografierte, ignoriert. Und das Handy gezückt: Sonst stünde ich jetzt als Aufschneider da.

Aber so konnte ich den Wahrheitsbeweis antreten. (Aus taktischen Gründen verschwieg ich, dass der Schuster gegenüber jenem Haus liegt, auf dem ein Schild verkündet, dass WAM hier das Ave Verum“ geschrieben haben soll – das eine muss mit dem anderen ja wirklich nichts zu tun haben.) Und es war einfach schön, die Gesichter der Umsitzenden zu beobachten, wie sie der Reihe nach (beim Handy-Herumreichen) einen Ausdruck hilfloser und verzweifelt-resignativer Fassungslosigkeit annahmen: Das, hatte nach einer ziemlich langen Schrecksekunde B.s Begleiter, ein sonst gar nicht auf den Mund gefallener PR-Mann, die Sprache wieder gefunden, sei wirklich nicht mehr zu toppen. Und er hoffe, dass ihn die Ohnmacht, die ihn gerade gestreift hatte, bis zum Ende des Jahres in einen sanften, schwarzen Dunst hüllen würde, die alles WAM-bezogene von ihm fernhält.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich lächelte bedauernd: Ob ich schon erwähnt hätte, dass es auch Mozart-Schuhsohlen und Wolferl-Absätze gebe?, fragte ich dann mit Engelsmiene – und klickte ein Bild weiter. A., die neben ihr sitzende Kunstgeschichteprofessorin und die Fotolegende kicherten wie kleine Schulmädchen. Der Theatermann wurde blass. Der PR-Mann ließ das Besteck fallen. Und H., der bekannte Künstler, begann zu schluchzen: Wenn das der legendäre, unsterbliche Ruhm sei, um den es doch – auch – gehe, dann sei wirklich alles vergeblich. Wenn das der Preis des Erfolges sei, dann sei das heute seine letzte Ausstellung gewesen. Dann wolle er seine Arbeit nie wieder zeigen. (Thomas Rottenberg)

Foto: Thomas Rottenberg