"Soho in Ottakring" aus dem Vorjahr: "Global Pneus" von Michael Schultes – interaktive Architektur-Performance im öffentlichen Raum; Foto: Götz Bury

Foto: Götz Bury
Kein Spielfilm mit dem Schauplatz Manhattan, in dem nicht ein Loft vorkommen würde. Vor zwanzig Jahren wurden die ehemaligen Fabrikshallen in SoHo, Chelsea und Tribeca zu niedrigsten Preisen verscherbelt. Heute müssten wir ein Vermögen hinblättern, um eine Wohnstätte dieser riesigen Art unser Eigen nennen zu können.

Aggressive Taktik

Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte, die auf dem internationalen Immobiliensektor so manche Spielregel von anno dazumal völlig umgekrempelt hat, wird in der Wissenschaft sogar mit einem eigenen soziologischen Begriff gewürdigt: "Gentrification" bezeichnet demnach die Aufwertung eines innerstädtischen Wohngebiets. Was sich anhört wie eine nette Geste seitens der Stadt, ist in Wirklichkeit eine aggressive Taktik von Projektentwicklern und Investoren. Denn innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums – ein Jahrzehnt ist in der Stadtentwicklung nicht mehr als ein Augenblick – wird die statusniedrige Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung regelrecht ausgetauscht. Beschleunigt wird dieser Prozess durch die Ansiedlung von attraktiven Infrastrukturen und hochwertigen Geschäften sowie durch eine entsprechende PR-Maschine.

Die südlichen Stadtteile von Manhattan finden sich heute in der Situation wieder, da die einstigen Underdog-Künstler allmählich aus ihren Backstein-Lofts getrieben wurden. An ihre Stelle treten nun hochwertige Galerien, lifestylishe Cafés und eine Markenwelt von Prada bis Chanel.

"Gentrification ist ein sehr problematisches Phänomen", erklärt die in Wien lebende Stadtforscherin Betül Bretschneider. "Mit der Abwanderung der Bevölkerung wandern die Probleme lediglich woanders hin, sie verschwinden aber nicht." Noch ist es allerdings nicht so weit, dass man sich in Wien die gleichen Sorgen wie im Big Apple machen müsste. Bretschneider: "In Wien ist die Gentrification noch nicht so fortgeschritten." Am ehesten könne man von einer Anhebung der städtischen Lebensqualität im Bereich der Wiener Märkte sprechen.

Belebung durch Kunst

Als Paradebeispiel bezeichnet die Forscherin den Wiener Naschmarkt. Dieser habe einen Wandel vom Nahversorgungsmarkt zu einer urbanen Erlebnisoase durchgemacht. Doch im Gegensatz zur angloamerikanischen Tradition der Gentrification – und das ist der größte Unterschied – ist das Phänomen in Österreich nicht auf den langfristig wirkenden Einfluss der Architektur- und Immobilienbranche zurückzuführen, sondern auf den temporären Reiz der Kunst.

Den zündenden Auftakt im Bereich der städtischen Kunstinterventionen machte 1999 das jährlich wiederkehrende "Soho in Ottakring", kuratiert von Ula Schneider. Seitdem haben sich viele weitere Projekte in Wiener Innenstadtbezirken dazugesellt, wie "Unternehmen Capricorn" (1020), "Viertel 4" (1040), "making it!" (1050), "Cultural Sidewalk" (1060) oder beispielsweise "WOLKE 7" (1070).

Das Motto des heuer zum 8. Mal stattfindenden "Soho in Ottakring" (20. Mai – 3. Juni) lautet "Achtung Baustelle! Under Construction!" und bezieht sich damit auf die Umbauarbeiten des gesamten Brunnenmarkts, die mittlerweile in Angriff genommen worden sind. 150 Kunstschaffende werden mit insgesamt 40 unterschiedlichen Projekten auf die neue Situation in Ottakring reagieren.

Damit trägt das zeitgenössische Stadtteilprojekt ein weiteres Mal dazu bei, die Koolhaas'sche These einer eigenschaftslosen Stadt zu unterwandern. "Heute sind leere Lokale im Bereich des Brunnenmarkts kaum noch verfügbar", erklärt die Soho-Kuratorin Ula Schneider. "Inzwischen arbeiten hier sehr viele KünstlerInnen, ArchitektInnen, DesignerInnen, und MusikerInnen."

Bobo-Zone Ottakring

Und das sei durchaus im Sinne des Stadtentwicklungsplans 05, so Angelika Winkler von der MA 21 (Stadtteilplanung und Flächennutzung). Der Wandel der ehemaligen Einzelhandelsgeschäfte zu Dienstleistungsbetrieben wird als Chance gesehen, die Geschäftsstraßen und Straßenviertel aufzuwerten. Und ganz nebenbei wird Ottakring zur neuen Bobo-Zone. Die Mieten steigen in schier unerschwingliche Höhen, die alten Probleme indes – Integrationskonflikte, Geschäftssterben – ziehen von einem Stadtteil in den nächsten weiter. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.4.2006)