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Lüderitz im Südwesten Namibias

Foto: Archiv

Am Nachmittag ist der kurze Spuk vorüber. Dann legt der scharfe Südwestwind Sandschleier über die Gebäudeskelette der verschlafenen Geisterstadt Kolmannskuppe. Die Spuren der allvormittäglichen Besucher - einmal sind es zwanzig, einmal weniger - werden vom Wüstensand getilgt. Das Tal in der Namib-Wüste gehört wieder den Elementen: dem Wind, der an 200 Tagen des Jahres bläst; dem Nebel, gespeist aus den eiskalten Fluten des Benguela-Stroms im nur 15 Kilometer entfernten Atlantik; dem feinkörnigen Sand, der ganz allmählich den Torso einer Stadt zuschüttet, die hier vor fast 100 Jahren aus dem Wüstennichts gestampft wurde, die aber ihr fünfzigstes Lebensjahr nicht mehr erreichte.

 

Einmal wird die Stille von einer zerbrochenen Deckenlampe unterbrochen, die quietschend im Luftstrom schaukelt, einmal schlägt ein loses Blech an einen Dachbalken. Kolmannskuppe im Südwesten Namibias erzählt ein zeitlos schönes Märchen von Reichtum und Enttäuschung, von Aufstieg und Fall, von kolonialem Imponiergehabe und seiner Vergänglichkeit.

Launen der Natur

Kann es für einen 30-jährigen Oberbahnmeister der Deutschen Reichsbahn eine trostlosere Perspektive geben, als Gleise vom Flugsand freizuschaufeln - im Kampf gegen einen hartnäckigen Wüstenwind? Ort dieses Ringens mit den Launen der Natur: "Grasplatz", gelegen zwischen Kilometer 18 und 27, ein gottverlassener Flecken in der südwestafrikanischen Namib-Wüste, nur zwei Schmalspur-Haltestellen von der Stadt Lüderitz entfernt. Selbst der Name ist eine Täuschung, denn am "Grasplatz" wächst nichts, vor allem aber kein Gras.

Es ist nicht überliefert, wie es bis zu jenem Apriltag im Jahr 1908 um den Gemütszustand von August Stauch tatsächlich stand, ob er nach zwei Jahren Schaufeln an so etwas wie Perspektivlosigkeit litt. Bekannt ist lediglich, dass sich das Leben des aus Thüringen stammenden Asthmatikers - dem einst sein Arzt geraten hatte, des Klimas wegen in die Kolonie Deutsch-Südwest auszuwandern - plötzlich schlagartig änderte.

Moy Klip

An jenem 14. April überbrachte ihm sein afrikanischer Hilfsarbeiter Peter Zacharias Lewala aufgeregt einen wunderschönen, glitzernden Stein. Der war an einer schmierigen Schaufel kleben geblieben. "Sieh mal, Mister, moy Klip (schöner Stein)", soll der Bursch vom Kapland gesagt haben. Lewala muss gewusst haben, was er da in den Händen hielt, denn er hatte zuvor am Big Hole in Kimberley gearbeitet, jener Region im südlichen Afrika, die bereits 50 Jahre zuvor vom Diamantenfieber infiziert worden war. Von seinem Lüderitzer Freund, dem Bergwerksingenieur Sönke Nissen, ließ sich Stauch bestätigen, was er bereits vermutet hatte: Der Stein bestand tatsächlich aus reinem Kohlenstoff und war ein lupenreiner Diamant.

Und offenbar wussten die Männer sehr genau, dass das ganze große Glück zwar greifbar, durch voreiligen Aktionismus aber auch akut gefährdet war. Deshalb vereinbarten sie striktes Stillschweigen. Stauch kündigte ordnungs- (und frist-)gemäß seinen Dienst bei der Bahn. Stauch, Nissen und ein weiterer "Mann der ersten Stunde" erwarben beim kaiserlichen Bergbauamt die Rechte für siebzig Schürffelder auf mehr als zwanzigtausend Hektar Wüstenland.

Sie gründen die Diamantenschürfgesellschaft Kolmannskuppe, benannt nach einem Flecken, an dem Jahre zuvor ein angeblich zum Nama-Volk gehörender Transportkutscher namens Johnny Kolman verdurstet war. Sie besaßen jetzt zwar ganz legal die Schürfrechte, hatten es aber eigentlich gar nicht nötig zu schürfen, denn in ihrem Claim ließen sich die Diamanten mit bloßen Händen auflesen.

Glücksritter und Abenteurer

In Lüderitz erzählt man sich noch heute die Anekdote, Stauch habe einmal - auf dem Boden sitzend - nur in Reichweite seiner Hände 37 Diamanten gefunden. Weiters wird erzählt, dass das wichtigste Arbeitsgerät eines jeden Diamantensuchers damals ein leeres Marmeladenglas gewesen sei. Im Schnitt sammelte jeder der wenigen Eingeweihten in den ersten Tagen ein halbes Glas voll Edelsteine jeden Tag. Für kurze Zeit hieß das Schürfgebiet ganz offiziell "Märchenthal".

Spätestens im Juli 1908 wurde das Märchen auch in Deutschland erzählt und beschrieben, das Reich wurde vom Diamantenfieber gepackt. Glücksritter und Abenteurer brachen in die Wüste von Deutsch-Südwest auf, so dass sich die Reichsregierung bereits im September gezwungen sah, einen 100 Kilometer breiten Küstenstreifen vom Oranjefluss bis zum 26. Breitengrad zum "Sperrgebiet" zu erklären.

Vom zwölf Kilometer entfernten Hafen in der Lüderitzbucht schleppten Ochsenwagen alles in die Diamantenstadt, was damals ein Leben in den heimischen vier Wänden lebenswert machte: Badewannen, Armaturen, Kühlaggregate, Linoleumfußböden, Sportgeräte, Grammofonplatten, Toilettenbecken mit Wasserspülung, sogar ein Röntgengerät (das erste in Afrika!) für das örtliche Krankenhaus und vieles mehr.

Bäume in der Wüste

Man pflanzte Bäume in die Wüste, baute ein Schwimmbad, eine Limonadenfabrik, eine Volksschule, den Kegelklub "Gut Holz", ließ die Straßen mit elektrischen Laternen beleuchten. Der Morgen für die 300 Deutschen mit ihren 40 Kindern, die bald darauf im südwestafrikanischen Outback lebten, begann mit frischen Brötchen. Der Tag klang mit dem besten französischen Schampus aus. Nur Wasser, das blieb stets knapp. Denn es musste zunächst mit dem Tankschiff vom Kap geliefert werden, wurde anschließend auf Ochsenwagen verladen und in die Wüste gekarrt. Später baute man an der Küste eine Meerwasserentsalzungsanlage, die von einem eigens errichteten Elektrizitätswerk bei Bogenfels betrieben wurde, seinerzeit der leistungsstärkste Stromproduzent auf der südlichen Halbkugel.

20 Prozent der Weltproduktion

Allmählich ersetzten die Rohdiamanten im täglichen Handel das Bargeld, es wurde nicht mehr mit Rand, Mark oder Pfund bezahlt, sondern in Karat. Und zum wichtigsten Begleiter wurde die Taschenhandwaage. Auch in Deutschland bezahlten Südwester auf Heimaturlaub oft mit Diamanten. Und da sich im ganzen südlichen Afrika schnell herumgesprochen hatte, dass in Kolmannskuppe und Lüderitz sogar die Lebensmittel in Karat bezahlt wurden, eilten clevere Händler aus Kapstadt herbei, kauften Diamanten zum Spottpreis auf. Mehr als eine Tonne der Edelsteine wurde allein bis 1914 im Sperrgebiet gefördert, 1909 waren es monatlich 70.000 Karat.

Das waren 20 Prozent der Weltproduktion. Kolmannskuppe hatte bereits im Jahre fünf seiner Existenz den Ruf, die reichste Stadt Afrikas zu sein. Doch nicht einmal ein Jahr später begann der allmähliche Abstieg. Zunächst schlief mit Beginn des Kriegs die Diamantenförderung ein. Es stand schlecht um die deutschen Kolonien. Hilfe aus dem Reich war nicht zu erwarten, die Heimat band alle verfügbaren Kapazitäten. Das Ende kam dann auch schnell: Nicht einmal ein Jahr lang konnte sich Südwest gegen die überlegenen Südafrikaner behaupten. Bereits im Juli 1915 kapitulierte die Kolonialverwaltung in Windhuk. Die neuen Herren vom Kap wollten die Diamanten der Namib.

Im Land änderte sich indes kaum etwas. Die deutschen Siedler durften in Südwest bleiben, nur die Minengesellschaften bekamen neue Namen, hießen beispielsweise "De Beers" und hatten ihren Hauptsitz in Johannesburg. Viel zu schürfen gab es ohnehin nicht mehr. Bereits 1931 galt Kolmannskuppe als zu 95 Prozent ausgebeutet. Die Kleinstadt diente nur noch als Frachtdepot entlang der Schmalspurbahn nach Lüderitz. Und der Sand bemächtigte sich mit stoischem Eifer jener Gebäude, die von ihren Besitzern aufgegeben worden waren. 1954 entließ das Krankenhaus seinen letzten Patienten, zwei Jahre später zogen die noch verblieben sieben Familien fort. Zurück blieb eine tote Stadt mit Badewannen ohne Nass, einem Kühlraum, der nichts mehr kühlte, blinden Fensterscheiben und einem alten Harmonium, auf dem fortan der Wind spielte. (Der Standard/rondo/21/4/2006)