derStandard.at: Geht es der italienischen Wirtschaft tatsächlich so schlecht oder wurde die Wirtschaftlage im Wahlkampf dramatisiert?

Marterbauer: Italien hat in den letzten Jahren sicher die ungünstige Entwicklung aller EU-Länder durchgemacht, vor allem was das Wirtschaftswachstum betrifft (seit 2000 +0,8 Prozent pro Jahr versus +1,6 Prozent im EU-Durchschnitt, Anm.).

Die italienischen Schwierigkeiten liegen sowohl in der Wettbewerbsfähigkeit im Export, als auch in der schwachen Entwicklung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte und damit der Konsumausgaben. Selbst der norditalienische Raum, der ja üblicherweise wirtschaftlich sehr anpassungsfähig war und in hoher Qualität produziert hat, hat sich nicht erfreulich entwickelt. Italien muss sich überlegen, wie es im Rahmen der europäischen Union Wirtschaftspolitik machen will. Das bedarf auf alle Fälle grundlegender Reformen.

derStandard.at: Liegt die schlechte Entwicklung der letzten Jahre an der verfehlten Wirtschaftspolitik der Regierung?

Marterbauer: Regierungen haben immer Verantwortung für schlechte Wirtschaftsentwicklung und steigende Arbeitslosigkeit. Die angesprochene Konsumschwäche ist durch Kürzungen von Staatsausgaben und die Verunsicherung der der Konsumenten bedingt. Das andere Problem ist, dass Italien mit der Währungsunion nicht ausreichend zurecht gekommmen ist und deswegen stark an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Die italienischen Exporteure haben massiv Marktanteile an den Weltmärkten verloren.

derStandard.at: Trotzdem gilt Berlusconi bei vielen ItalienerInnen als talentierter Wirtschafter.

Marterbauer: : Leute, die in einem Unternehmen erfolgreich sind - von den Methoden sprechen wir jetzt gar nicht - sind noch lange nicht fähig, auch eine Volkswirtschaft erfolgreich zu führen. Das sind zwei paar Schuhe.

derStandard.at: Unter Prodi wurde der Euro zügig in Italien eingeführt. Jetzt waren Ökonomen, dass der Ausstieg aus der Eurozone droht. Könnte das tatsächlich passieren?

Marterbauer: Im Moment ist die Situation in der Währungsunion für Italien tatsächlich sehr schwierig, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit. Eine Abwertung der Währung würde der italienischen Wirtschaft natürlich helfen, das ist in der Eurozone nicht mehr möglich. Ich glaube aber nicht, dass Italien austritt, das wäre nicht sinnvoll. Man muss mit den Rahmenbedingungen umgehen lernen. Nebenbei: Der rasche Beitritt Italiens zur Eurozone unter der damaligen Prodi-Regierung zeigt, dass das Land prinzipiell zu Reformen fähig ist, denn die notwendigen Kriterien wurden innerhalb kürzester Zeit erreicht.

derStandard.at: Wo muss Prodi nun ansetzen, wie schmerzhaft werden die Reformen?

Marterbauer: Das größte Herausforderung wird es sein, das riesige Budgetdefizit (Staatsverschuldung: 106,4 Prozent des BIP, Anm.) in den Griff zu bekommen. Das wird man nur durch vernünftige Steuererhöhungen auf der einen Seite und Kürzungen von Staatsausgaben auf der anderen Seite erreichen können. Die neue Regierung wird aber eher in der Lage sein, die Lasten auf jene Schultern zu legen, die sie auch tragen können. In den letzten Jahren wurden ja vor allem die oberen Einkommensschichten entlastet. (mhe)