"Requiem für Piccoletto": Jowita Sip, Udo Kawasser, Gunda König, Manuel Rubey.

Foto: Armin Bardel

"Requiem für Piccoletto" – Dieter Kaufmanns Oper – auf der Basis von Texten Josef Winklers komponiert für das Mozartjahr 2006 – wurde am Mittwoch von der neuen Oper Wien im Wiener Museumsquartier uraufgeführt. Ein Erfolg.

Wien – Die Oper. Wurde sie noch vor wenigen Jahrzehnten als eine durch Musik und Gesang erzählte Geschichte definiert, so kann heute fast alles Oper sein, wenn es nur Musik und Bühne miteinander verknüpft. Der österreichische Komponist Dieter Kaufmann ist hier konkreter. Er nennt sein für das Wiener Mozartjahr 2006 von der Neuen Oper Wien unter Walter Kobéra produziertes Werk Requiem für Piccoletto nach Texten von Josef Winkler eine "wort/spiel/ tanz/bild-Oper" und beschreibt so recht lakonisch die vier ästhetischen Ausdrucksmittel, die im Laufe des Abends mit seiner Musik verschmelzen.

Nein, Kaufmann möchte keine Geschichte erzählen, zumal Winklers Text über das Markttreiben vor dem Vatikan und den tödlich verunglückenden Jungen Piccoletto ja von zwei in die Szene eingebundenen Sprechern gut verständlich erzählt wird.

Kaufmanns Komposition interpretiert Winklers ebenso sinnlichen wie sprachgewaltigen Text nicht, sie kommentiert ihn; zuerst beinahe schüchtern, später selbstbewusst und eine echte klangliche Ausdeutung bildend. Wir erleben in Requiem für Piccoletto eigentlich keine Oper, sondern die Entstehung einer solchen. Denn bilden Sprache, Szene und eine einsam am linken Bühnenrand stehende Violinistin (Elena Denisova) zu Beginn noch recht isoliert agierende Einheiten, so verschmelzen diese im Laufe der Geschichte langsam zu einem unmittelbar erfahrbaren Gebilde aus Sinnlichkeit, Religion, Blut und Tod.

Anklänge an Nitsch

Im Mittelpunkt der Szene stehen der helle Solosopran Jowita Sips als blindes, die Ge-schichte als Traum erlebendes Mädchen sowie die beiden Erzähler Manuel Rubey – der stellenweise auch Piccoletto selbst verkörpert – und Gunda König. Um sie herum entwirft der Regisseur Alexander Kubelka mit einem achtköpfigen Vokalensemble und einer vierköpfigen Tanzgruppe (Tanz*Hotel) Bilder und Aktionen, die in ihrer Mischung aus sehr körperlichen, teilweise auch gewalttätigen Gesten und Opfersymbolen an Hermann Nitschs Aktionen erinnern. Die Basis auf der sonst ausgeräumten Bühne des Wiener Museumsquartiers bildet dabei eine Art White Box, die multifunktional als Markthalle, Kirche, Schlachtraum oder Totenhalle fungiert.

In und vor dieser Box werden die das Marktgeschehen teilweise drastisch schildernden Geschehnisse nun in handelnde Bilder übersetzt – mit viel Mut zur drastischen Darstellung. So etwa in der Szene der Zerteilung der Fische, in der die Tänzer gleichsam ausgeweidet werden. Oder bei Piccolettos Unfalltod, zugleich Showdown und musikdramatischer Höhepunkt.

Neben dieser zutiefst sinnlichen Ebene sind die kirchenkritischen Ansätze (neben Winklers Natura morta vertont Kaufmann auch dessen Sechs Klagen gegen den Papst) in wesentlich leisere Klänge und Bilder verpackt. Auszüge aus Kaufmanns im Gegensatz zum sonstigen Klangtheater im Gestus sehr ruhigen Missa povera treffen auf mehr assoziative Bilder wie flügelschlagende Engel oder eine Kitschmadonna. Mozart ist quasi nur als ferner Beobachter präsent, so mit einem kaum wahrnehmbaren Zitat aus seinem Requiem oder sarkastisch gebrochen mit Fragmenten der Bildnis-Arie vor Piccolettos blutiger Leiche. Die Bilder, sie waren an diesem Premierenabend auf ihre Weise ja wirklich bezaubernd schön. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.3.2006)