Gegen italienische Gewöhnungserscheinungen: Nanni Moretti (li.) und sein Hauptdarsteller.

Foto: Sacher
Forza-Italia-Sprecher Sandro Bondi hatte sein Urteil schon vor der Premiere gefällt: "Eine Mischung aus Kommunismus und Faschismus". Auch sein Vize Fabrizio Cicchitto zeigte sich nicht zimperlich: "Ein Verblödungsprodukt." Für den Berlusconi-Intimus Giancarlo Galan verkörpert "Haß-Nanni" gar den "roten Goebbels". In Padua mietete Forza Italia zur Abschreckung ein Kino an, um "das triste Leben unter den roten Kaimanen zu demonstrieren".

Während zehntausende am Wochenende in die Kinos strömten, um Nanni Morettis Film Der Kaiman zu sehen, ereiferten sich die Anhänger des Rechtsbündnisses über den im Wahlkampf präsentierten Anti-Berlusconi-Film. In beiden Lagern gab es Ausnahmen: Spitzenkandidat Romano Prodi befürchtet einen "Bumerang-Effekt". Berlusconis ehemaliger Informationsminister Giuliano Ferrara lobte den Film in der Tageszeitung La Repubblica als "gelungen".

Der Riss ging quer durch die Medien: Während der Corriere della Sera dem Ereignis am Freitag und Samstag fast sechs Seiten widmete, wurde es von Berlusconis Mediaset-Sendern und von RAI 2 ignoriert. Völlig entspannt blieb in der Hitze des Gefechts nur einer: Nanni Moretti. Der 53-jährige Regisseur lud Familie und Freunde zur Premiere in sein römisches Cinema Sacher.

"Eine Regierung, die sich vor einem Film fürchtet, verdient Mitleid. Ein Film kann nie und nimmer Wählerstimmen verschieben. Das ist eine abstruse Vorstellung", versicherte Moretti. "Der Kaiman ist ein Film über das Kino, die Liebe und über das heutige Italien. Es wundert mich, dass viele von mir einen Propagandafilm erwarteten. So etwas interessiert mich nicht."

Unter den Intellektuellen des Landes hat Moretti eine lebhafte Diskussion über die Kernthese seines Films ausgelöst. Hat Berlusconi wirklich "schon vor 20 Jahren den Italienern mit seinen TV-Sendern den Kopf verdreht"? "Die Hauptfigur meines Films hinterlässt ein Trümmerfeld - kulturell, politisch ethisch, psychisch, in der Verfassung, in den Institutionen", so Moretti. "Vor 20, 30 Jahren unterhielten sich kommunistische und christdemokratische Wähler noch miteinender. Heute ist das Land in unversöhnliche Lager gespalten."

Wie tief der Riß quer durch Italien ist, demonstrierten die heftigen Proteste des Rechtsbündnisses gegen Morettis Fernsehauftritt am Wochenende - den ersten seit drei Jahrzehnten. Millionen Zuschauer erlebten auf Rai 3 einen nonchalanten, ungewohnt witzigen Regisseur, der um eine Entkrampfung des Klimas bemüht war.

Entschieden widersprach er dem Vorwurf des Forza-Italia-Senators Paolo Guzzanti, der Film zeichne das "Zerrbild einer Bananenrepublik, wie es im Ausland gern gepflegt" werde: "Mein Film ist eine Komödie über Italien. Ich habe den trüben Spiegel gereinigt, damit wir uns besser erkennen können. Unser Problem: Wir haben uns an unglaubliche Dinge gewöhnt. Zum vierten Mal in zwölf Jahren kandidiert ein Medien-Tycoon für das Amt des Premiers - im Ausland undenkbar."

Moretti kündigte seine Teilnahme am Festival von Cannes an. Berlusconi, der Moretti kürzlich als "kommunistischen Heilsapostel" definiert hatte, witterte Sonntag die Chance, den Film für seine PR zu nutzen. Auf einer Kundgebung in Neapel schwang er einen Säbel und warnte seine Gegner: "Ich bin der Kaiman und fresse euch alle." (DER STANDARD, Printausgabe, 28.3.2006)