Die Flüchtlinge in den Auffanglagern, wie hier das mit rund 4.000 Menschen besetzte Camp Mae Surin, sind praktisch völlig auf sich allein gestellt.

Foto: Helfen ohne Grenzen/Gabriele Schaumberger

Im Grenzgebiet zu Burma leben hunderttausende Menschen unterschiedlicher Minderheiten in thailändischen, indischen oder laotischen Auffanglagern. Im Dschungel im gebirgigen Osten des Landes, abseits dieser Camps, flüchten weitere rund zwei Millionen Vertriebene vor den Truppen eines Militärregimes, das es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, mehrere Völker auszulöschen.

Gabriele Schaumberger, Mitarbeiterin der Organisation "Helfen ohne Grenzen", verbrachte insgesamt über ein Jahr beim Volk der Karenni und kennt die Situation der Flüchtlinge in den Lagern aus eigener Erfahrung. Im derStandard.at-Interview mit Thomas Bergmayr beklagt sie den systematischen Genozid unter den Augen der Weltöffentlichkeit und hofft auf Maßnahmen.

derStandard.at: Wie sieht die Situation für die Karenni und andere Minderheiten derzeit aus?

Schaumberger: Was jenseits der Grenze in Burma los ist, kann kaum jemand mit Bestimmtheit sagen. Fest steht aber, dass die Lage zusehends außer Kontrolle gerät: Karenni State (ein etwa 12.000 Quadratkilometer großes Gebiet an der Grenze zu Nordwest-Thailand, Anm.) ist von den Militärs der Junta komplett abgeriegelt, weder NGOs noch das Internationale Rote Kreuz sind in der Lage, den Menschen dort Hilfe zu leisten.

Man schätzt, dass sich im Inneren des Landes rund zwei Millionen Menschen der verschiedenen Ethnien permanent auf der Flucht befinden und weitere 600.000 weitgehend isoliert von der Außenwelt in Lagern nahe der Grenzen leben.

derStandard.at: Wo befinden sich diese Flüchtlingslager?

Schaumberger: Für die Angehörigen der Karenni existieren inzwischen zwei Lager an der thailändischen Grenze: Im Camp Pang Qwai leben rund 18.000 Menschen, im Lager Mae Surin fanden bislang etwa 4.000 Fliehende Unterschlupf. Leider besitzen diese Menschen keinen offiziellen Flüchtlingsstatus, sondern gelten lediglich als "displaced people".

Weitere Camps, etwa für die Karen oder die muslimischen Rohingya, finden sich weiter im Süden an der thailändischen Grenze bzw. in Bangladesch und Indien. Aber nicht alle Minderheiten haben die Möglichkeit, ins verhältnismäßig sichere Nachbarland zu fliehen. Angehörige der Shan etwa werden von Thailand regelmäßig über die Grenze zurück nach Burma getrieben.

derStandard.at: Kann man hier bereits von einem Genozid sprechen?

Schaumberger: Ja, was hier geschieht ist definitiv Völkermord. Seit über 30 Jahren sind die Minderheiten in Burma unter den Augen der Weltöffentlichkeit ethnischen Säuberungen durch die Militärs ausgesetzt. In so genannten "free fire zones" oder "black zones" schießen die Soldaten auf jeden Menschen, den sie antreffen. Wenn die Leute dort eine Uniform sehen, dann laufen sie um ihr Leben.

Dörfer werden niedergebrannt, es kommt zu Massenvergewaltigungen, jene, die nicht fliehen können oder getötet werden, schickt das Regime in "relocation sites", bei denen es sich im Grunde um Konzentrationslager handelt. Der Rest versteckt sich im Dschungel in den Bergen.

derStandard.at: Weist etwas darauf hin, dass die Ausrottungs-Kampagne von der Junta systematisch und geplant ist?

Schaumberger: Es gibt durchaus Hinweise darauf. Einer der Militärführer hatte vor einigen Jahren verkündet, man würde den letzten Karen nur mehr im Museum zu sehen bekommen.

=> Hilfe unter schwierigen Bedingungen

derStandard.at: Der Premierminister der burmesischen Exilregierung, Sein Win, meinte bei seinem Österreich-Besuch, man müsse heute zumindest nicht mehr erklären, wo Burma liegt. Hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung von Burma in den letzten Jahren etwas geändert?

Schaumberger: Eigentlich nur wenig. Was hier vor sich geht, bleibt im Grunde immer noch weitgehend ungesehen von der Welt. Abgesehen von einigen sehr engagierten Hilfsorganisationen und Vereinigungen werden die Ereignisse kaum wahrgenommen.

Wichtig wäre es, dass die anderen Staaten, insbesondere die EU, ihre Wirtschaftsbeziehungen abbrechen. Tourismus und Import von Tropenhölzern, Bodenschätzen und Edelsteinen aus Burma stärken nur das Militärregime und schaden den verfolgten Minderheiten.

Ein sehr bedenkliches Beispiel für ausländische Investitionen ist das Staudammprojekt am Salween River. Die geplanten Kraftwerke würden weite Teile der Siedlungsgebiete der Karenni überschwemmen, tausende Menschen müssten wiederum zwangsumgesiedelt werden und die Möglichkeiten zur Flucht nach Thailand werden damit weiter eingeschränkt.

derStandard.at: Welche Unterstützung können die Hilfsorganisationen, wie etwa "Helfen ohne Grenzen", leisten?

Schaumberger: Zunächst einmal viel weniger, als tatsächlich notwendig wäre. "Helfen ohne Grenzen" selbst ist spezialisiert auf den Bildungsbereich, den Aufbau, Erhalt und die Versorgung von Schulen. Andere Organisationen kümmern sich um die Nahrungsmittel- und medizinische Versorgung der Flüchtlingslager-Insassen.

Die Arbeit wird einem von Seite der thailändischen Regierung aber zusehends schwerer gemacht. Nur ausgewählte NGOs dürfen in die Camps, die aus hunderten teilweise baufälligen Hütten bestehen. Thai Patrouillen sind mittlerweile im Camp stationiert. Als Privatperson oder Mitglied einer kleineren Hilfsorganisation kommt man dort seit 2003 gar nicht mehr hinein.

Die wenigen Besucher mit einer Erlaubnis werden streng kontrolliert und müssen genau deklarieren, was sie im Camp machen und was sie mitbringen. Außerdem ist es nur während des Tages gestattet, sich im Lager aufzuhalten.

derStandard.at: Leistet Thailand selbst keine humanitäre Hilfe?

Schaumberger: Das zwar nicht, aber es gestattet den Flüchtlingen sich auf thailändischem Boden aufzuhalten. Leicht haben es die Menschen in den Lagern aber nicht. Sie dürfen keiner Arbeit nachgehen, das Verlassen der Lager ist verboten, innerhalb der Lager gilt ab neun Uhr abends eine strikte Ausgangssperre. Um die Versorgung mit Nahrungsmittel und Baumaterial müssen sich die Menschen selbst kümmern; in dieser Hinsicht sind sie allein von den NGOs abhängig.

=> Kulturen-Verlust und Machtkämpfe in der Staatsspitze

derStandard.at: Welche Auswirkungen sehen Sie auf die Karenni und andere ethnische Minderheiten durch das jahrzehntelange Lagerdasein bzw. das Leben auf der Flucht?

Schaumberger: Die Konsequenzen sind vor allem in kultureller Hinsicht verheerend. Die unglaubliche ethnische Vielfalt Burmas ist durch die Verfolgung der Junta akut bedroht. Fragt man dort einen jungen Menschen, wo er geboren wurde, bekommt man als Antwort: "An der Grenze". Nur umfasst dieses "an der Grenze" ein Gebiet, das so groß ist wie ein ganzes Land.

Mittlerweile ist die Jugend völlig konfus, sie wurde auf der Flucht geboren, ist auf der Flucht aufgewachsen und viele Menschen haben bis zu ihrem Tod nichts anderes gekannt, als davonlaufen und sich zu verstecken. Ressourcen für die eigene Kultur bleiben da kaum. Mit anderen Worten: Die junge Generation hat bereits weite Teile ihrer kulturellen Identität eingebüßt; Bräuche und Traditionen gingen unwiederbringlich verloren.

derStandard.at: Welche Maßnahmen gegen den Kultur-Verlust könnten Sie sich vorstellen?

Schaumberger: Mein Hauptanliegen wäre es, die Menschen auch darin zu unterstützen, das Wenige zu retten, was an kultureller Identität noch vorhanden ist. Dazu wäre auch eine umfassende Studie nötigt, was allerdings nur in den Flüchtlings-Camps möglich ist. Nur das Erfassen der Kenntnisse der schrumpfenden älteren Generation verschafft der Jugend wieder eine kulturelle Basis, auf der sie ihre Zukunft aufbauen kann. Leider habe ich den Eindruck, dass einige Hilfsorganisationen darauf nur wenig Rücksicht nehmen.

derStandard.at: Was machen diese Hilfsorganisationen ihrer Meinung nach falsch?

Schaumberger: Die Menschen in den Camps leben in ausschließlicher Abhängigkeit von diesen Organisationen. Ihre Hilfe ist daher unerlässlich; allerdings sorgen manche NGOs in den Lagern auch für Durcheinander. Zum Teil werden die Flüchtlinge mit Workshops noch mehr verwirrt, als sie es ohnehin schon sind. Nichts gegen "Human Rights Training" oder "Capacity Building", das ist alles sicher sehr wichtig.

Aber der Versuch, hier westliche Grundsätze und Verhaltensweisen 1:1 zu übertragen, ist waghalsig und nicht immer zielführend – vor allem wenn man nicht genug über die Kultur der Menschen weiß, die man schulen will.

derStandard.at: Wie wirkt sich das aus?

Schaumberger: Viele der Camp-Insassen bekommen gar nicht mit, um was es bei den Workshops eigentlich geht; oft merken sich die Menschen durch permanente Wiederholung nur Schlagworte und basteln sich dann aus diesen Bruchstücken eine neue, kulturell verarmte Identität zusammen.

derStandard.at: In den letzten Monaten ist vermehrt von einem Machtkampf innerhalb der Militärführung die Rede gewesen. Wie beurteilen Sie die Zukunft von Burma?

Schaumberger: Nun, die Hoffnung ist groß, dass das Regime über kurz oder lang unter seinen inneren Spannungen zerbricht, echte Hinweise darauf gibt es nur wenige. Allerdings ist festzustellen, dass einige Militäreinheiten besonders in den Randgebieten offenbar nicht mehr unter vollständiger Kontrolle der Regierung stehen.

Auch ansonsten ist das Heer nicht das stabilste. Das Regime verpflichtet zu einem erheblichen Teil Kinder zum Soldatendienst. Es kommt zu Zwangsrekrutierungen, Kinder werden auf dem Schulweg einfach weggeholt. Viele davon sind schwer traumatisiert und laufen den Streitkräften wieder davon.

derStandard.at: Und wie stabil ist Staatsführung selbst?

Schaumberger: Ende 2004 wurde Premierminister Khin Nyunt verhaftet, viele seiner Anhänger verschwanden. Khin Nyunt galt als gemäßigt und hinterließ bei seinen Besuchen verschiedener buddhistischer Tempel im ganzen Land seinen Namen als Inschrift. Nach seiner Verhaftung wurden diese Inschriften von der Junta restlos getilgt.

Einige Burmesen, die etwas Einblick in die Belange der Regierung haben, werten all dies als Zeichen, dass es in den obersten Reihen des Regimes gärt. Sie halten es für möglich, dass sich in den kommenden ein bis zwei Jahren etwas tun wird. Je eher dies geschieht, umso besser ist das für die Karenni und die anderen Völker Burmas.
(tberg)