Einer der besten heimischen Dokumentaressayfilme des Jahres, mit beträchtlichem Hit-Potenzial: "Exile Family Movie" von Arash.

Foto: Diagonale
Graz - Eine Kleinfamilie in Paris verstrickt sich in Aufarbeitung alter Schuld und Angstgefühlen - Caché von Michael Haneke. Eine persischer, heute in Wien ansässiger Exilanten-Clan trifft sich in Mekka mit Verwandten aus dem Iran - Exile Family Movie von Arash. Ein kleiner Zirkus, immer hart am Rand zum Ruin, tingelt quer durch Italien - Babooska von Tizza Covi und Rainer Frimmel.

Wenn diese drei Produktionen am Samstag bei der Diagonale 06 völlig zu Recht als "beste österreichische Filme" - Erster in der Kategorie Spielfilm, letztere beide als Dokumentationen - prämiert wurden, so mochte man einmal mehr fragen: Was ist das heute überhaupt noch - Austrokino? Letztlich führen sie doch alle auf höchst individuell souveräne Weise vor, was das bedeuten könnte: Unter Einsatz von heimischen Fördergeldern und Know-how über den Tellerrand der österreichischen Befindlichkeiten hinaus zu blicken, dabei filmisch in jeder Hinsicht adäquat zu agieren und eine künstlerische Handschrift durchzuhalten, die auch ein größeres Publikum begeistern kann.

Haneke wurde dafür seit den letzten Filmfestspielen in Cannes schon ausgiebig gewürdigt. Es sei also quasi ergänzend vermerkt: An frühe ethnografische Novellen von John Berger erinnernd, mit meisterlicher Kameraführung und genialer Verdichtung eines Lebensjahres einer jungen Jongleurin, war Babooska vielleicht das Meisterwerk dieser Diagonale. Und Arashs Exile Family Movie hätte als warmherzige, gleichzeitig aber nie plakative Beobachtung (s)einer Großfamilie wohl sogar das Zeug zum Kinohit: Vielleicht sollte man sich unter diesem Aspekt den Titel noch einmal überlegen.

Denkt man - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zu diesen Preisträgern nun noch Filme wie Florian Flickers bewegendes Westernstadt-Dokudrama No Name City, Martina Kudláceks beispielhaftes Künstler-Porträt Notes on Marie Menken oder Nikolaus Geyrhalters Unser täglich Brot hinzu, so darf man getrost vermelden: Das diesjährige Festival des heimischen Film- und TV-Schaffens wies eine ungewöhnlich große Dichte an sehenswerten Produktionen auf.

Selbst wenn zum Beispiel die steirische Tragikomödie Kotsch (Regie: Helmut Köpping, Drehbuch: Gregor Stadlober) manchmal ein wenig zu sehr mit visuellem Firlefanz inszenatorische Schwächen kaschierte, so sah man doch nichts weniger als einen der ersten lustigen Nicht-Kabarett-Filme seit Jahren: Wie hier vier geistige Dauer-Maturanten ihr Leben in Fohnsdorf verplempern, das muss sich vor den "Herr Lehmanns" dieser Tage nicht verstecken.

"Reich" und "arm"

Es fast schon bitter ironisch, dass der in diesem Jahr präsentierte "Reichtum" sich bei einer Veranstaltung entfaltete, die Intendantin Birgit Flos selbst "Spar-Diagonale" nannte: Aufgrund beträchtlicher Schuldenberge aus dem Vorjahr (etwa wegen einer ziemlich sinnlosen, schlecht besuchten Tournee mit historischen Diagonale-Hits quer durch Österreich) hatte sie das Festival um einen Tag und um mehrere Projektionen gekürzt, was im Übrigen durchaus Schule machen sollte. Ein Eröffnungsabend und fünf volle Tage sind selbst für einen guten "Jahrgang" wie den heurigen mehr als genug. Nichts ist bei einem Festival lähmender als sich durch künstlich gestreckte und letztlich nur durch Mediokritäten vervollständigte Programmschienen quälen zu müssen.

Sollte also im nächsten Jahr wieder mehr "Spielgeld" zur Verfügung stehen, dann müsste man es vor allem in die Rahmenbedingungen investieren: Mitunter lavierte die herunter gesparte Festivalorganisation hart am Rande zum Chaos - etwa wenn beim Kartenverkauf kollabierende Computer auf überforderte Mitarbeiter trafen. Befruchtende ästhetische und kreative Diskussionen und Workshops vermisste man schmerzlich. Vor diesem Hintergrund wirkten denn auch die beständigen Versuche von Birgit Flos, praktisch die gesamte heimische Produktion recht pauschal interessant zu finden, gar angestrengt. Aber das ist wohl eine hartnäckige Diagonale-Intendanten-Krankheit, so unter dem Motto: Wir dürfen uns den österreichischen Film nicht kaputtreden lassen.

Das tut und das vermag auch niemand, wenn er oder sie die oben angeführten Filme gesehen hat. Und wesentlich destruktiver als die von Flos als "zu lässig" empfundene Kritik ist hier zu Lande wohl vor allem die Ignoranz des ORF: Dass er sowohl als Auftraggeber wie auch als Schaufenster des heimischen Filmschaffens seiner Pflicht nicht nachkommt und die Potenziale nicht nutzt - dies war ein durchgängiger Befund dieser Diagonale.

Wenn dann gleichzeitig selbst ernannte Erfolgsproduzenten wie Helmut Grasser von der Allegro Film in verzweifelter Gier das Gros der Fördergelder für sich fordern, dann sorgte das bei der in Graz versammelten Branche für fast schon heiteres Kopfschütteln. Die besten Filme dieses Jahres, sie entstanden östlich und strukturell, an den Rändern oder sogar außerhalb der bewährten "Instanzen". (DER STANDARD, Printausgabe, 27.3.2006)