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Protestlustige Jugend: Südkoreas Studenten demonstrierten zuletzt gegen Handelsgespräche mit den USA.

Foto: REUTERS/You Sung-Ho
Wenn Seouls Kinos und Theater so etwas wie der Spiegel der koreanischen Seele sind, dann zeigen die Kassenschlager der vergangenen Jahre wohl sehr genau die gemischten Gefühle der Menschen im Süden über die fortdauernde Teilung ihres Landes: das Gefühl, den Zug der Geschichte verpasst zu haben, wenn überall sonst auf der Welt der Kalte Krieg längst vorbei ist; die Furcht vor den finanziellen Kosten der Vereinigung; die verdrängten Albträume - die Atombomben des Nordens und der Terror dieses religiös-kommunistischen Regimes gegen seine Untertanen.

"Willkommen in Dongmagkol" hieß eine Komödie, die 2005 die Kinosäle füllte. Dongmagkol ist der Name eines - fiktiven - Dorfs im Norden, das den Beginn des Koreakriegs 1950 verschlafen hatte und dessen Bewohner, erdverbundene Bauern, einer versprengten Gruppe von Soldaten - Nordkoreanern, Südkoreanern, ein GI ist auch dabei - erst einmal die Leviten lesen.

"Taegukgi" (2004) war ein Drama, das das Schicksal zweier Brüder erzählte, die der Koreakrieg an die gegnerischen Fronten brachte. "Yoduk" schließlich ist ein Musical, das vor zehn Tagen erst in einem Theater in Seoul anlief und den Unmut der südkoreanischen Regierung hervorgerufen haben soll: "Yoduk" ist der Name eines Straflagers im kommunistischen Norden; die Handlung des Stücks basiert auf Berichten von Flüchtlingen. Nicht eben eine Werbung für die Politik der Verständigung, die Südkoreas Präsident Roh Moo-hyun mit Pjöngjang versucht.

Südkoreas Journalisten seien angewiesen, die Gemeinsamkeiten mit der Bevölkerung im Norden zu betonen, sagt Young-chul Yun, Professor für Publizistik an der Yonsei-Universität in Seoul. Berichte über Menschenrechtsverletzungen finde man allenfalls in den Zeitungen, keinesfalls im Fernsehen. Dabei zweifeln heute vor allem die jungen Südkoreaner an der Idee einer Wiedervereinigung. Eine von Yuns Studentinnen sagt es ohne Umschweife: "In den 80er-Jahren waren alle Nordkoreaner Teufel und wir mussten in der Schule antikommunistische Poster zeichnen. Jetzt sind sie plötzlich unsere Freunde." Ihre Eltern hätten den Koreakrieg nicht mitgemacht, meint die junge Frau. "Das alles ist nicht Teil meines Lebens."

An den Universitäten und in den akademischen Kreisen ist die Skepsis an der offiziell wichtigsten nationalen Aufgabe - der Wiedervereinigung - mitunter groß. "It's chaos and confusion", ist ein Satz, den man oft hört. Die Zeit der Trennung scheint zu lange, das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beiden Staaten viel zu groß, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Südkoreas Studenten zu unsicher.

In Kaesong im Norden, gleich hinter der Demarkationslinie, lassen Südkoreas Unternehmen in einer Sonderwirtschaftszone derzeit noch technologisch unverfängliche Artikel wie Bratpfannen und Sportschuhe herstellen. Doch die Profitaussichten sind enorm, besser noch als in China: 57,50 Dollar Einheitslohn im Monat zahlt Südkorea für die Arbeiter im Norden, Pjöngjang behält den Lohn ein und zahlt angeblich acht Dollar aus; immer noch ein überdurchschnittliches Gehalt für nordkoreanische Verhältnisse.

Wegen politischer Versuchslabors wie Kaesong ist in Universitätskreisen im Süden durchaus umstritten, ob einmal ein gemeinsamer koreanischer Staat einfach das Modell des Turbo-Kapitalismus fortführen soll. Manche dieser "progressiven" Professoren, wie der Politikwissenschaftler Lee Jang-hee oder der Soziologe Kang Jeong-koo, sind deshalb immer wieder mit dem nationalen Sicherheitsgesetz in Konflikt gekommen, einem Relikt aus der Zeit der Militärregierungen. Kang sieht dieser Tage auch einem Prozess entgegen. Die regierende linksliberale Uri-Partei würde das Gesetz gern ändern, doch im Parlament fehlt dafür die Mehrheit.

Die Linken und die Jungen vergessen zwei Dinge, heißt es am Institut für Außenpolitik und nationale Sicherheit (Ifans) in Seoul, einem Thinktank der Regierung, der die Verständigungspolitik mit dem Norden verteidigt: "Nordkorea ändert sich langsam, aber es ändert sich", sagt Kang Choi, einer der Wissenschafter am Institut, "und auf Seoul sind 300 bis 500 schwere Artilleriegeschosse gerichtet". (DER STANDARD, Printausgabe, 27.3.2006)