Wien - Der eingefleischte Lutheraner Johann Sebastian Bach, geformt vom Protestantismus, schrieb - zeitweilig - Musik für den katholischen Hof in Dresden. Ein Unikat! Martin Haselböck und seine Wiener Akademie zeigten im Großen Musikvereinssaal gemeinsam mit dem elastisch musizierenden Chorus sine nomine (Einstudierung Johannes Hiemetsberger, bekommt sein Chor denn nun mal einen Namen?) in ihrer recht gefeierten Interpretation, dass hier - wie überall auf der Welt - Leid, Einsamkeit, Entzücken und Wonne präsent sind.

Und - nicht nur in der Fastenzeit - gefeiert werden dürfen. Es ist sehr gut möglich, dass Teile der Messe h-Moll BWV 232, eigentlich als "kleine Messe" angelegt, bereits beim Erbhuldigungs-Gottesdienst für Kurfürst August II. erklungen sind. Den Rest hat der Leipziger Meister dann - gemäß seinem zusammenfassenden und ordnenden Denken der letzten Jahre - mithilfe des gern benutzten Parodie-Verfahrens gestaltet und erst wenige Jahre vor seinem Tode beendet.

Haselböcks Lesart dieser großen catholischen Messe zeugte gleich zu Beginn des Kyrie eleison von Beziehungsreichtum und überkonfessioneller Gläubigkeit. Der Hörer wurde in die Welt der großen und tiefen Gefühle im Heute und Hier geschickt. Und dort blieb man bis zur Schlusskadenz.

Prachtvoll durchschritten inzwischen die Chorbässe den Kosmos im "Sanctus", klug dosierte Haselböck die Steigerungen des "Dona nobis pacem". Immer wieder kündeten Seufzerbewegungen seines auf historischen Instrumenten spielenden Orchesters von der bevorstehenden Auferstehung.

Besonders viel hat sich Bach damals nicht um Gesangstechnik oder stimmliche Grenzen gekümmert - die Solisten, allen voran Katerina Beranova und Lydia Vierlinger, aber auch Ursula Fiedler, Andreas Karasiak und Florian Boesch waren mit Engagement bei der Sache. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.03.2006)