Graz – Warum meidet das Publikum den österreichischen Film? Diese Frage entzündet sich gegenwärtig nicht unbedingt bei der Diagonale selbst. Das Grazer Festival für den heimischen Film verzeichnet auch in diesem Jahr gut gefüllte Kinosäle.

Die Frage nach dem Ausbleiben des Publikums sorgt allerdings für heftige Kontroversen – bei einem Marktanteil des heimischen Films von zwei Prozent scheint sie auch durchaus zulässig. Auslösendes Moment der Erregung war ein Papier, das Helmut Grasser, Chef der Wiener Allegro Film und Präsident des Produzentenverbands, zunächst nur intern vorgelegt hat. Er fordert darin Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des heimischen Films.

Allerdings streng populistisch: Jene Produzenten, die mit ihren Filmen im Inland am meisten Publikum erreichen, sollen hinkünftig bevorzugt in den Genuss von Fördermitteln kommen. Was nichts anderes bedeutet, als dass kommerzieller Erfolg zum einzigen Kriterium würde. Virgil Widrich, der als Vertreter des Regieverbands in Graz an einer Podiumsdiskussion teilnahm, sieht hinter dieser Forderung denn auch nichts anderes als Eigeninteresse: "Hier soll die Marktmacht zweier Firmen einzementiert werden."

Ein Vorwurf, der durchaus berechtigt erscheint, stellen Grassers Allegro Film und die Dor-Film die finanziell erfolgreichsten Produktionen der letzten Jahre. Regisseur Michael Haneke wurde als Diskutant deutlicher: Er sehe in Grassers Vorschlag eine gezielte Attacke gegen neue Produktionsfirmen wie Coop99 oder Amour Fou, die künstlerische Erfolge einfahren.

Keine "Öko"-Mittel

Im Umkehrschluss liefe die Vorgehensweise Grassers darauf hinaus, so Haneke weiter, dass finanziell weniger erfolgreichen Filmemachern eine kontinuierliche Arbeit versagt bliebe: "Ich hätte wohl nach Der siebente Kontinent keinen Film mehr gemacht." Das gegenwärtige "Ökosystem" benötige also "keine Pflanzenschutzmittel".

Dennoch stellt sich die Frage, wie man zarte Filmtriebe zum Wachsen bringt: Die mangelhaften Vertriebsstrukturen, ein Manko an Publicity oder der Rückzug des ORF als Produzent blieben in dieser Debatte nur Randthemen, tragen aber wohl zum mangelnden Publikumszuspruch bei. Zwei auf der Diagonale präsentierten Dokumentarfilmen würde man jedenfalls eine große Öffentlichkeit wünschen: Rainer Frimmels und Tizza Covis bereits prämiertem Babooska und Exile Family Movie von Arash.

Im Gestus sehr unterschiedlich – der eine diskret, der andere emotional wuchtig –, breiten beide familiäre Zusammenhänge aus. Babooska folgt dem Nomadentum der Zirkusfamilie Gerardi, ohne sein Hauptaugenmerk auf die Manege zu legen. Es geht um Arbeit, Bürokratie und Organisationen, die vonnöten sind, um diesen Beruf zu praktizieren. Frimmel und Covi werden zu geduldigen Zeugen dieser Lebensform; sie stellen keine Fragen, sondern verlegen sich ganz auf Beobachtung. Ganz unsentimental wird hier gegen das romantisierte Bild des Zirkuslebens jenes einer kleinen Arbeitswelt gesetzt – und darüber auch ein ungewöhnliches Bild der italienischen Peripherie.

Arashs Exile Family Movie erzählt dagegen seine eigene Familiengeschichte. Das Video-Format ist zunächst nur das Ersatzmedium, das den emigrierten Teil der Verwandtschaft über Grußbotschaften mit jenem zusammenführt, der immer noch im Iran lebt. Eine Reise nach Mekka wird schließlich zum Vorwand des Wiedersehens.

In Home-Movie-Manier vermittelt der Film die melodramatischen Momente, die eine solche versteckte Mission mit sich bringt; zugleich deckt er die kulturellen Prägungen auf, die innerfamiliär zu Disputen führen. Mit humanistischem Nachdruck zeigt Arash jedoch auf, dass sie alle zu bewältigen sind: wenn man sich aufeinander einlässt. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.03.2006)