Seit Jahresbeginn ist in Bolivien Felipe Cáceres, ein Kokabauer, auch der oberste Drogenbekämpfer der neuen Regierung. Robert Lessmann befragte ihn zu seinen Zielen bei dieser Arbeit.

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STANDARD: Ein Kokabauer und Gewerkschafter der Kokabauern als oberster Drogenbekämpfer – was bedeutet das?

Cáceres: Ich war auch Bürgermeister von Villa Tunari, der größten Gemeinde in den Tropen Cochabambas, dem Epizentrum der Überschussproduktion von Koka in Bolivien und auch der jahrelangen sozialen Konflikte um die zwangsweise Kokavernichtung. Ich kenne die Probleme jedenfalls aus erster Hand. Die Politik der vorangegangen neoliberalen Regierungen zielte unter der Leitung der US-Botschaft auf die Kokavernichtung und kümmerte sich nicht um die Armut, um die sozialen und kulturellen Aspekte, die mit dem Anbau verbunden sind.

STANDARD: Nun ist das Motto ihrer Regierung "Ja zur Koka, Nein zu Kokain", was muss man sich darunter konkret vorstellen?

Cáceres: Nun, wir sind gerade einmal seit einigen Wochenan der Regierung. Da konnten wir noch nicht viel verändern. Aber was wir vorhaben, ist ein frontaler Kampf gegen den eigentlichen Drogenhandel mit Beschlagnahmungen, verschärftem Kampf gegen Geldwäsche und die so genannten Vorläuferchemikalien, die man zur Kokainherstellung braucht.

Dagegen wollen wir human sein gegenüber den bäuerlichen und meist indianischen Produzenten des Kokabuschs, den schwächsten Gliedern in der Kette.

STANDARD: Was heißt "human" in der Praxis? Wird es eine Freigabe des Anbaus geben?

Cáceres: Das Kokablatt an sich ist keine Droge und der Bauer kein Drogenhändler. Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas. Keine der zur Kokainherstellung notwendigen Chemikalien wird bei uns hergestellt. Bis heute sind jedoch unsere Gefängnisse mit einfachen und armen Bauern vollgestopft und nicht mit den wirklichen Drogenbossen.

Diese Regierung unter Präsident Evo Morales wird noch im Laufe dieses Jahres erste Zeichen setzen, dass wir die Überschussproduktion an Koka, von der wir wissen, dass sie in die illegale Weiterverarbeitung geht, reduzieren werden: Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens ohne Gewalt, ohne Menschenrechtsverletzungen und ohne Ungerechtigkeiten.

In diesem Zusammenhang möchten wir der Europäischen Union danken, die mit 350.000 Euro eine Studie finanzieren wird. Sie wird den Verbrauch an Koka für traditionelle und legitime Zwecke ermitteln, bis zu dem wir dann reduzieren wollen. In unserer Kultur spielt das Kokablatt eine wichtige Rolle: Wir kauen es, verwenden es als Tee, aber Koka ist auch Bestandteil religiöser Zeremonien.

STANDARD: Im Moment ist noch ein Abkommen aus dem Jahr 2004 wirksam, das in der wichtigsten Anbauzone jeder Familie 1600 Quadratmeter Koka zugesteht. Mit dieser Obergrenze würde man 3200 Hektar erreichen. Die tatsächliche Anbaufläche beträgt dort aber mehr als 10.000 Hektar.

Cáceres: Wir haben bereits mit der freiwilligen Reduzierung unter Aufsicht der Bauernorganisationen begonnen. Wir können das erreichen, weil unsere Regierungspartei und unsere Regierung letztlich aus genau diesen Bauernorganisationen hervorgegangen ist.

STANDARD: Was ist mit dem Anbau in Schutzgebieten? Fast die Hälfte der neu angebauten Koka befindet sich dort.

Cáceres: Dieser Anbau ist verboten und muss aufgegeben werden. Die Menschen müssen diese Zonen verlassen. Aber ich betone: Auch dabei wird es keine Gewalt geben. Das ist unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft und wir hoffen, dass sie verstanden wird.

Wir wollen einen umfassenden Entwicklungsprozess in Gang setzen; und die Koka wird im Rahmen der Verwendung für traditionelle und legitime Zwecke ein Bestandteil davon sein. Wir wollen nicht nur einfach Bananen oder Kaffee statt Koka pflanzen. Wir müssen die Lebensbedingungen der Menschen umfassend verbessern.

STANDARD: Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

Cáceres: Wir brauchen internationale Unterstützung für unsere Polizeiarbeit, aber auch für die Entwicklung unseres Landes. Und wir wollen, dass man die soziale, kulturelle und religiöse Bedeutung, die das Kokablatt für uns hat, international anerkennt. Die UN-Drogenkonventionen, deren wichtigste beinahe ein halbes Jahrhundert alt ist, behandeln das Kokablatt wie eine harte Droge.

Wir halten das für einen Irrtum, der korrigiert werden muss. Damit wäre der Weg frei, etwa für den Export von Koka-Teebeuteln, wie sie bei uns und in Peru als Standardlebensmittel überall zu kaufen sind. Es gibt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation, in der dem Kokablatt gesundheitliche Unbedenklichkeit bescheinigt wird. Dem muss Rechnung getragen werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2006)