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Wahlkämpferin Julia Timoschenko vor einem Bild von Präsident Viktor Juschtschenko, der sie ein dreiviertel Jahr nach dem Sieg der "orangen Revolution" als Regierungschefin entließ: "Meine Vorschläge und mein guter Wille liegen auf dem Tisch."

Foto: APA(epa/Sergey Dolzhenko
STANDARD: Viele Ukrainer, die die "orange Revolution" unterstützt haben, scheinen aufgebracht darüber, dass auch unter der neuen Führung die alte Politik fortgesetzt wird.

Timoschenko: Etwas vereinfacht gesagt: Von Anfang an bestand die "orange" Koalition aus zwei Fraktionen: jenen, die unzufrieden mit dem "Stück des Kuchens" waren, das sie unter der Präsidentschaft von Leonid Kutschma erhielten, und eine Neuverteilung von Vermögen und Macht zu ihren Gunsten anstrebten; und jenen, die für echte wirtschaftliche, soziale und politische Reformen und eine Zerstörung des als ^"Kutschmismus" bekannten Clansystems in die große Politik gingen. Mein Team und ich gehören zu Letzteren. Die effektive Arbeit meiner Regierung wurde auch unterminiert durch die Etablierung zweier paralleler Regierungskörper - in der Präsidialverwaltung und im Nationalen Sicherheitsrat.

STANDARD: Wurde die Korruption in Verwaltung und Wirtschaft ausreichend bekämpft?

Timoschenko: Nein. Einige Gründe dafür habe ich soeben erwähnt. Die Ukraine braucht eine Reform des Gerichtswesens und eine Stärkung der Herrschaft des Rechts. Das Gesetz, das gewählten Funktionären juristische Immunität gibt, sollte aufgehoben werden. Kein gewählter Funktionär, auf welcher Ebene immer, sollte über dem Gesetz stehen.

STANDARD: Was war der Hauptgrund für den Bruch zwischen Ihnen und Präsident Viktor Juschtschenko?

Timoschenko: Ich stimme nicht darin überein, dass es ein Bruch war. Ich schlug dem Präsidenten Zusammenarbeit bei den Zielen und Prinzipien vor, die wir während der "orangen Revolution" auf dem Maidan (Platz im Zentrum Kiews) verkündeten. Meine Vorschläge und mein guter Wille sind noch immer auf dem Tisch.

STANDARD: Würden Sie eine Koalition sowohl mit der Partei von Juschtschenko als auch jener seines einstigen Kontrahenten Viktor Janukowitsch eingehen, um wieder in die Regierung zu kommen?

Timoschenko: Die neueste Umfrage gibt uns eine klare Führung. Ich bin bereit zu einer Koalition mit Juschtschenkos Partei "Unsere Ukraine", um die wichtigsten Reformziele zur Umwandlung der Ukraine in ein modernes, prosperierendes, demokratisches europäisches Land zu erreichen. Mit Janukowitsch werde ich niemals zusammenarbeiten, weil er das Lager der politischen Rache und der Restauration des autoritären Kutschma- Systems repräsentiert.

STANDARD: Wie wird sich das offensichtliche politische Comeback von Janukowitsch auf den Reformprozess auswirken?

Timoschenko: Es würde das Ende der wirklichen Reformen bedeuten. Stattdessen wird es einen Als-ob-Reformprozess geben, eine "Kutschma light"-Politik einschließlich dessen bevorzugten außenpolitischen Spiels des Melkens zweier Kühe - Russlands und des Westens.

STANDARD: Wollen Sie wieder Premierministerin werden, oder konzentrieren Sie sich bereits auf das Präsidentenamt?

Timoschenko: Es geht nicht um den Titel, es geht einzig darum, die europäische Perspektive für mein Land nach dem demokratischen Durchbruch der "orangen Revolution" aufrechtzuerhalten. Die Qualität der Staatsführung ist ein Schlüssel dazu.

STANDARD: Was sind die Hauptpunkte Ihrer scharfen Kritik am Gasdeal zwischen der Ukraine und Russland?

Timoschenko: Der Deal ist nicht mehr und nicht weniger als ein Verrat nationaler Interessen der Ukraine. Ich werde mein Bestes tun, diesen Deal rückgängig zu machen, der die Interessen von Oligarchen beider Länder widerspiegelt. In diesem Sinn ist er nicht nur für die Ukraine eine Bedrohung, sondern auch für die Energiesicherheit der EU. In künftigen Verhandlungen muss die Ukraine ihre Unabhängigkeit behaupten. Es gibt keinen Grund, Schatten-Zwischenhändler zu benutzen.

Eine Lektion, die wir gelernt haben, ist, dass wir unseren Energiekorb erweitern, strengere Maßnahmen für effizientere Energienutzung treffen und ausländische Investoren zur Modernisierung unserer Energieinfrastruktur anziehen müssen. Ich würde auch eine gemeinsame europäische Energiepolitik begrüßen, in der die Ukraine konstruktiv zur Energiesicherheit Europas beitragen könnte.

STANDARD: Warum gibt es noch immer keine substanziellen Fortschritte in der Untersuchung des Mordes an dem Journalisten Georgi Gongadse?

Timoschenko: Weil der "Kutschmismus" im Justiz- und Polizeisystem noch immer mächtig ist.

STANDARD: Es gibt Gerüchte über einen Deal mit Expräsident Kutschma, dem Verwicklung in den Mord vorgeworfen wird. Treffen sie zu?

Timoschenko: Ich verstehe die Frage nicht. Wessen Deal? Ich jedenfalls hatte niemals einen Deal mit Kutschma.

--> Zur Person: Julia Timoschenko

Julia Timoschenko (45) war in der Kutschma-Ära Vizepremierministerin unter dem damaligen Regierungschef und jetzigen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Dieser machte sie nach der "orangen Revolution" 2004/ 2005 zur Ministerpräsidentin - und entließ sie neun Monate später wegen unüberbrückbarer Differenzen.

"Gasprinzessin", "Sexbombe der ukrainischen Politik", "ukrainische Jeanne d’Arc", "Lady Ju", "der einzige Mann in der ukrainischen Politik": Allein die Abfolge ihrer Spitznamen und Charakterisierungen sagt schon viel über den Werdegang Timoschenkos, die das politisch- wirtschaftliche Beziehungsgeflecht des Landes kennt wie kaum jemand anderer.

Ein soeben erschienenes Buch macht klar, warum von dieser Frau noch einiges zu erwarten ist. Sie sei wie Atomenergie, sagte eine Journalistin über sie - und es hänge von den Umständen ab, ob sie zur Atombombe oder zum Kraftwerk werde. (Dmitri Popov, Ilia Milstein: Julia Timoschenko - Die Zukunft der Ukraine nach der Orangenen Revolution, DuMont) (jk, DER STANDARD, Print, 23.3.2006)