Richard III. kann zufrieden sein mit sich und Dan Brown. Die Touristen drängeln sich, um sich seiner Pirsch auf den Spuren des Da-Vinci-Codes anzuschließen. Gut gelaunt verteilt er kleine Zettel, dieser Richard III., der kein Adliger ist, sondern einer von drei staatlich geprüften Richards, die Neugierige hinter die Kulissen der Themsestadt lotsen, zu Spukgeistern im West End oder ins verkatert erwachende "Soho am Morgen".

Auf den Schnipseln steht eine Zahlenfolge, 13-3-2-21-1-1-8-5, Teil einer verschlüsselten Botschaft. Der Pariser Museumsdirektor Jacques Saunière hat sie, im Sterben liegend, auf den Fußboden des Louvre gekritzelt, in der Hoffnung, dass seine Enkelin Sophie Neveu den Code knacken und schließlich den Heiligen Gral finden kann. Es ist die Anfangsszene eines Bestsellers, des Thrillers The DaVinci Code (Sakrileg) von Dan Brown, der die Gralsjäger nach aufregenden Abenteuern in die Tempelkirche zu London führt, zu einem imposanten Rundbau, wo die gen Jerusalem ziehenden Tempelritter einst ihr Hauptquartier aufschlugen.

In der Temple Church können sie ihr Glück noch gar nicht fassen. Was für ein Andrang! Freitags hält sich ein Anglikanerpfarrer für Vorträge bereit. Still und vergessen lag das Gotteshaus lange Zeit da, nun hat man es wiederentdeckt wie ein versunkenes Schatzschiff. Denn im High Court, nur ein paar Schritte weiter, direkt an der lärmenden Fleet Street, streiten hochkarätige Anwälte darüber, ob Brown sein Werk abgekupfert hat. Ein Krimi für sich.

Als Erste sitzt morgens Lynn Picknett vor der Tür, lange bevor sich die Pforten zum Saal 61 öffnen. Eine zierliche Lady, glattes schwarzes Haar, Manieren vom Feinsten. Auch sie hat ein Buch geschrieben, "The Templar Revelation" heißt es, und gäbe es nur so feine Damen wie sie, wäre Dan Brown nie vor einen Richter zitiert worden.

Statt gegen den Thrillerstar zu prozessieren, ist ihm Lynn Picknett richtig dankbar. Kein Wunder, der Rummel um seine Geschichte hat ihr Büchlein gleich mit ins Rampenlicht gehoben. Auch ihres Werkes hat Brown sich bedient, um seinen roten Faden zu spinnen, die These, dass Jesus verheiratet war. Mit Maria Magdalena soll Christus Kinder gehabt haben, deren Nachkommen, von den Tempelrittern behütet, die Zeiten in Frankreich überdauerten.

So großmütig sich Mrs. Picknett gibt, so verbiestert wirkt Richard Leigh. Die Augen hinter Sonnenbrillengläsern verborgen, das Haar schulterlang, ein Altrocker, den man sich besser mit dröhnender Gitarre vorstellen kann als zwischen den Aktenbergen eines Gerichtssaals. Leigh, ein Amerikaner, hat 1982 zusammen mit dem Neuseeländer Michael Baigent den Heiligen Gral und seine Erben verfasst, den Roman, den sich Brown regelwidrig einverleibt haben soll. Bekommen Leigh und Baigent Recht, kann Hollywood den für Mai geplanten Film über den Da-Vinci-Code womöglich nicht in die Kinos bringen.

"Mylord, Dan Brown hat abgeschrieben", fasst Jonathan Rayner James seine Anklage zusammen. Rayner James QC ist ein Queen's Counsel, einer, der in der Spitzenliga der britischen Juristerei spielt und seidene Talare tragen darf. "Mylord, Blythe Brown hat alles seitenweise übertragen, sogar die Rechtschreibfehler."

Blythe, zwölf Jahre älter als Dan, eine Powerfrau, die ihren Gatten mit ihrem Ehrgeiz ansteckte, ist die eigentliche Hauptfigur dieser Verhandlung. Wann genau hat sie abgekupfert? Ganz am Anfang, als ihr Mann noch die Grundidee suchte? Oder erst später, als er fast fertig war? Dass Brown diese oder jene Textstelle von Baigent und Leigh übernahm, gibt er selbst zu. Seinen Oberschurken, einen britischen Geheimbündler namens Sir Leigh Teabing, hat er sogar nach Leigh und - mittels Anagramm - nach Baigent benannt. Die Kernfrage ist, ob er das komplette Leitmotiv klaute. Und wie man das nachweisen soll.

Ein verzwickter Fall, doch der Mylord trägt's mit Humor, very British. In Klarschrift heißt der Mylord Peter Smith, ein Richter, der aussieht, als müsse er unter seinem Bart sehr oft grinsen über dieses merkwürdige Verfahren und die herrlichen Originale, die da vor ihm sitzen. Bis Ostern will er sein Urteil fällen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 3. 2006)