In den AKH-Labors gezüchtete Gelenksknorpel werden in geschädigte Knie implantiert und stimulieren Zellwachstum

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Knorpelgewebe ist jenes milchig-weiße Material, das die Knochenenden überzieht und für die Beweglichkeit der Gelenke sorgt. Wenn dieses Material durch Verletzungen geschädigt wird oder sich abnützt, wächst es nicht mehr nach. Die Folge: Beweglichkeitsverlust und Schmerzen. "Gelenkknorpel haben die biologische Eigenschaft, sich nicht zu regenerieren", erklärt Stefan Marlovits, Unfallchirurg am Wiener AKH. Er und sein Team wollten sich mit dieser Pattstellung nicht abfinden und begannen 1996 als eine der ersten Forschergruppen weltweit mit der Züchtung von Knorpelgewebe im Labor. Tissue-Engineering ist der Fachbegriff, der bis heute wie Sciencefiction klingt, doch mittlerweile Realität geworden ist. Allein im AKH wurden im vergangenen Jahr 40 biologische Gelenksknorpel im Knie eingesetzt.

Gelenkknorpelzüchtung funktioniert in zwei Phasen. In einer ersten arthroskopisch vorgenommenen Operation werden dem Patienten 200 bis 300 Milligramm Gelenksknorpel aus einer intakten Stelle im Kniegelenkknorpelgewebe entnommen und als Zellkultur im Labor angelegt. Aus anfänglichen 500.000 Zellen werden so im Laufe der nächsten Wochen 15 Millionen, die dann in einer zweiten Operation zurück ins Knie implantiert werden. Dort geht der Prozess der Knorpelbildung dann weiter und führt dazu, dass der "in vitro" gezüchtete Knorpel im Körper defekte Stellen auffüllt.

Biomaterialien

Einen entscheidenden Fortschritt und eine Verbesserung erzielen die Forscher rund um Marlovits gerade durch die Verwendung von Biomaterialien, die als Trägersubstanzen für die Zellkulturen eingesetzt werden. Während diese Substanzen in den USA von der Food and Administration Agency (FDA) verboten sind, erzielt man in Europa damit exzellente Ergebnisse. "Knorpelschäden nach einem Unfall sind derzeit schon sehr gut behandelbar", kann Marlovits berichten. Wer als Kandidat für Knorpelzellentransplantation infrage kommt? Patienten mit verletzungsbedingten Kniegelenksknorpelschäden, die zwischen 18 und 50 Jahre alt sind, oder Menschen, die an Knorpelloslösung (Osteochondrosis dissecans) leiden. Arthrosen können mit Methoden des Tissue-Engineering allerdings derzeit noch nicht behandelt werden, da gesundes Knorpelgewebe immer die unbedingte Voraussetzung ist.

Um den Menschen immer mehr zum eigenen Ersatzteillager werden zu lassen, laufen am AKH eine Reihe von Versuchen, auch andere Gewebearten zu züchten. Für im Labor erzeugte Bandscheiben haben gerade die ersten klinischen Versuche begonnen, bei der In-vitro-Gewinnung von Meniskuszellen geht es darum, eine ganze Reihe biomechanisch bedingter Probleme zu lösen. "Wir haben auch begonnen, uns mit dem Züchten von Sehnen zu befassen", sagt Marlovits. Dieses Projekt ist allerdings erst in der experimentellen Phase. (pok/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 3. 2006)