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Königin Ginevra, von ihrem im Felde weilenden Gemahl Artus sträflich vernachlässigt, frönt einem exzentrischen Hobby: Sie lauscht, sofern sie nicht auf die britische Aue hinauseilt, um sich von den Sonnenstrahlen des Wonnemonats Mai kitzeln zu lassen, vor dem Radio den hasserfüllten Tiraden des Dichters Ezra Pound, der vom faschistischen Exil in Italien aus die "jüdischen Machenschaften" von Roosevelt und Konsorten mit Geifer belegt.

Wir schreiben in Der König, dem letzten Roman des großen, leider etwas in Vergessenheit geratenen postmodernen US-Autors Donald Barthelme (1931-1989), in etwa das Jahr 1940. England liegt mit den "Teutonen" im Krieg. Die Luftwaffe verheert die englischen Industriestädte, und der steinalte König Artus, dessen Ritter in alle britischen Himmelsrichtungen ausschwärmen, um Eidechsen zu erlegen und Pfadfinderinnen Glückskekse abzukaufen, sorgt sich um seinen Nachruf in der Times. Die wackeren Edelleute, sonst gar minniglich gesonnen, messen Artikellängen in der Tagespresse eifersüchtig mit dem Lineal nach. Sir Lanzelot hegt gar die Befürchtung, als Fahrstuhlführer seinen Lebensabend verbringen zu müssen: Es liegt unverkennbar so etwas wie Abschiedsstimmung in der höfischen Luft ...

Die Verdrehtheit dieser Welt, in der verschiedene Zeitzonen und Kulturstufen so gedeihlich miteinander harmonieren, meint zugleich auch ihr Geraderücken. Von den sturköpfigen Exponenten der Tafelrunde Anstand lernen heißt zum Beispiel, auf den Bau der Atombombe aus ethischen Gründen Verzicht zu leisten. Die "Postmodernität" Barthelmes äußert sich unter anderem in der rücksichtslosen Gleichbehandlung der Überlieferungsbrocken: Wer sinnvollerweise Geschichte nicht am Grade der Vervollkommnung misst, die das Menschengeschlecht zu erlangen vorgibt, der wird das "Gerümpel" des Mittelalters nicht einfach der Asservatenkammer zuschlagen - und diese mit überlegener Miene versiegeln.

Es ist dem Urs-Engeler-Verlag gar nicht hoch genug anzurechnen, dass er Barthelmes gelehrten, dabei hoch komischen Dialogroman in frischer Übersetzung vorlegt. Der Amerikaner, relativ jung an Krebs gestorben, verblüffte vor allem die Leser des New Yorker mit einer Fülle von Shortstorys, in denen er Tonfälle, Intonationen und Gemütslagen überlegen wechselte wie andere Autoren nicht einmal ihren Bleistift. Die Postmoderne, die heute wie ein längst vergangenes Kulturkapitel aus den tiefen 80ern des vergangenen Jahrhunderts anmutet, kehrt unverhofft wieder: als Aufforderung, der Graustichigkeit der geläufigen Wirklichkeitsverlautbarungen mit einem gezielten Wurf des literarischen Farbkübels abzuhelfen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, Printausgabe vom 18./19.3.2006)