"Wolfgang Amadeus Mozart" (1985) von Keith Haring.

Foto: Katalog/Ropac
Die große "offizielle" Ausstellung zum Mozartjahr sprengt in der Wiener Albertina spielerisch und enzyklopädisch zugleich den Rahmen einer Künstler-Monografie: In "Parallelwelten" wird vielmehr das "Experiment Aufklärung" im ausgehenden 18. Jahrhundert nachvollzogen.


Wien - "Eine Ausstellung machen, heißt eine Geschichte erzählen." Das ist, so wie es im Einleitungsartikel zum Katalog der gestern eröffneten Mozart-Ausstellung in der Albertina steht, nur scheinbar selbstverständlich.

Schnell ließe sich daran die Frage koppeln, welche Art von Erzählung denn angestrebt wird: Soll sie, was einem angesichts diverser didaktischer Offensiven des Mozartjahres schon leicht zum Hals heraushängt, belehren? Soll sie im Dienste massentauglicher Museumskonzepte mit einem "zeitlosen" Star Quote machen? Oder will sich diese "Geschichte" im Sinne großer Erzählungen tatsächlich Risiken stellen, die da heißen: Widersprüche produktiv zu machen, kulturelle und gesellschaftspolitische Konflikte nicht der Schwarz-Weiß-Malerei zu überlassen, falsche Eindeutigkeiten zu vermeiden?

Herbert Lachmayer, Ausstellungskurator, Kulturphilosoph, Leiter des Da Ponte Instituts für Librettologie - er demonstriert beträchtliche Lust an der Komplexität, wenn er Mozart als "Wissensoper" etikettiert und dem Helden dieser Oper von Beginn an mehrere Rollen und Parallelwelten zuschreibt: Das "Krokodil" Mozart, das seinen Eltern durchaus monströs erschien, tritt in diversen Schauräumen der Albertina ebenso auf, wie der narzisstische Rokoko-Kasperl Amadé.

Unter Slogans wie "Beschleunigte Aufklärung" oder "Zersetzte Toleranz" trifft der "Pornosoph" M. auf anonyme Illustrationen zu Laurence Sternes Tristram Shandy, blickt gleichzeitig Franz II. unentwegt mürrisch in die Runde, locken Folianten von Diderots Encyclopédie, beginnen Freimaurer in Rokoko-Salons und durch Gartenarchitekturen zu tanzen.

Körper und Räume

Immer wieder wird sich ein neues Ich zuerst seiner Körperlichkeit(en) bewusst, um dann geeignete Maskeraden und Gesellschaftsspiele zu suchen und zu (er)finden: Nicht umsonst beginnt auch ein opulenter, zusätzlich zum Katalog erscheinender Essayband mit Analysen wie einem Versuch über die Schaukel, Musik im Kaffee-Zeitalter oder zu Sammeln als Gelehrsamkeit. Der Kavalier und Spieler Mozart wird da ebenso hinterfragt, wie die über Jahrhunderte hinweg zelebrierte Gottheit der Geniereligion oder einfach nur der Komponist.

Zum Raum wird dabei, wie bei Opern nicht selten und bei Ausstellungen durchaus üblich, die Zeit: Nur spaltet sich das Mozart-Universum, frei nach und mit Lachmayer, in unzählige Gleichzeitigkeiten auf, in denen man einerseits einem Teppich von Franz West wie einem rosa Faden durch die Räume und Gänge folgt, vorbei an zeitlos zeitgenössischen Ballroben von John Galliano, hinein in eine naturwissenschaftliche Experimentier-Gruft, vorbei an einer Montgolfière von Klaus Pinter, einer Karnevalsszene von Tiépolo, an Casanova, Cagliostro (verkörpert von Orson Welles), während auf Videoschirmen Schlagworte aufblitzen wie: "Karrierestrategie". Oder: "Rettende Dekadenz". "Aufklärung, Blitz".

Gut 1200 Objekte, darunter hochkarätige Kunstwerke und rare Handschriften - haben Lachmayer und sein Team in ganz Europa zusammengetragen. Und wenn als erste Großtat vermeldet werden darf, dass sich beim Betrachter dennoch nie Lähmung durch Unübersichtlichkeit einstellt, so lautet die zweite: Tatsächlich ist diese Ausstellung mit den Untertiteln Re-Inventing Rokoko und Experiment Aufklärung weit mehr als eine staatstragende Hommage an einen weltberühmten Jubilar. Vielmehr wagt sie nicht weniger, als "die Entstehung des modernen Individualismus" nachzuzeichnen - geschult am Passagen-Werk Walter Benjamins einerseits (und damit ziemlich unösterreichisch), zugleich aber abgefedert in einem durchaus urwienerischen Spiel mit Widersprüchlichkeiten.

Lachmayer: "Paradoxien zu strapazieren forderte in Wien eine Intelligenzleistung heraus, vergleichbar jener, die in deutschen Landen zur Konstruktion ganzer philosophischer Systeme investiert wurde." Hier darf man eine solche Paradoxie wohl folgendermaßen interpretieren: Inwiefern - ein altes Problem auch für Mozart-Biografen - verschwindet jemand nachhaltig, obwohl er doch so inständig in den Mittelpunkt und Vordergrund von Interpretationen und historischen Recherchen gezerrt wird? Thomas Crown ist nicht zu fassen! Je länger wir Mozart durchwandern, desto ferner blickt Mozart zurück: Die Freiheiten, die sich daraus ergeben, haben wenig mit Beliebigkeit zu tun - dazu wurde hier zu gründlich gearbeitet -, als vielmehr mit einem erweiterten Horizont, einer rettenden und, ja: verführerischen Distanz.

"Tausend Welten"

Es mutet eine Spur angestrengt an, wenn Herbert Lachmayer diese Distanz und diese Nichtgreifbarkeit bei heutigen "Techno-Freaks" oder Computer-Kids wiederholt sieht, die ebenfalls "eingeklinkt in tausend Welten" leben und kommunizieren.

Wozu man sagen muss: Die Mozart-Ausstellung funktioniert in ihrer spielerischen, durchaus heiteren Ausbreitung von immensem Wissen auch ohne solche Bemühungen um populärkulturelle Aktualitäten. Sie macht schlicht ungeheuren Spaß, und nicht zuletzt leistet sie etwas, das man im zeitgenössischen Ausstellungsbetrieb fast schon verloren wähnte: Abseits vom platten Starkünstlerkult und "hippen" Themen kommt hier ein leidenschaftlicher und zugleich uneitler kuratorischer Blick zurück ins Spiel, den man seit den Glanzzeiten von Harald Szeemann (Austria im Rosennetz) oder Cathrin Pichler (Wunderblock) zumindest in Wien nachhaltig vermissen musste. In diese Richtung wieder mehr Initiative ermutigt zu haben - das wäre vielleicht nicht die schlechteste Synergie des Mozartjahres. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.3.2006)