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Beispiel für irische Kreativität mit Augenzwinkern: Alan Magee von der Künstlergruppe Duthain Dealbh.

Fotos: AP/McNaughton
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Mit einem realen Wirtschaftswachstum von fünf Prozent, einer Arbeitslosenquote, die unterhalb dieser Schwelle liegt, und einem ausgeglichenen Staatshaushalt bleibt die kleine Republik Irland die Musterschülerin Europas. Allein in den letzten neun Jahren wuchs die Zahl der Beschäftigten um rund ein Viertel. Kürzlich eilte sogar der einflussreichste Wirtschaftsstratege der britischen Konservativen, Schatten-Schatzkanzler George Osborne, nach Dublin, um zu lernen, wie man eine erfolgreiche Volkswirtschaft herbeizaubert. Seine Gastgeber müssen sich klammheimlich gefreut haben.

Selbst die gestrenge OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, musste in ihrem jüngsten Expertenbericht über Irland emsig stochern, um etwas zu finden. Zu Recht wird die ungenügende Infrastruktur bemängelt, die nun im Eilzugstempo an die neuen Gegebenheiten angepasst werden muss. Kläranlagen, Straßen, Nahverkehrsmittel werden mit enormem Aufwand hingeklotzt. Ungeduldig fordern die Ökonomen aus Paris die Abschaffung von Hochpreis- Inseln im Innern, zum Beispiel bei Apotheken, Pubs und Anwälten. Die meisten europäischen Regierungen wären wohl glücklich, so ungeschoren davonzukommen.

Es ist noch keine 20 Jahre her, dass besorgte Iren sich die Frage stellten, ob das Land überhaupt je einen Weg aus chronischer Arbeitslosigkeit und Auswanderung fände. Der europäische Binnenmarkt werde Irland zur billigen Fließbandarbeit verdammen, hieß es, und die multinationalen Unternehmen leisteten keinen echten Beitrag zum irischen Wohlbefinden. Die Iren hatten sich resigniert mit ihrem Scheitern abgefunden und fügten sich in die Rolle des geistreichen, fröhlichen, aber letztlich hoffnungslosen Hofnarren Europas.

Das war, bevor der Computerchip-Hersteller Intel 1989/ 90 seine Zelte in Irland aufschlug. In der Rückschau war das ein Wendepunkt. Letztes Jahr allerdings investierten irische Firmen weit mehr im Ausland, als umgekehrt in Irland investiert wurde. Die rasante Wirtschaftsentwicklung der letzten zehn bis 15 Jahre findet offenbar ein neues Gleichgewicht.

Dabei hält sich die irische Regierung an Rezepte, die mehr mit Chicago als mit dem fürsorglichen europäischen Modell gemeinsam haben. Die irische Staatsquote bleibt im internationalen Vergleich tief, indirekte Steuersätze - die die unteren Einkommensschichten ungebührlich stark belasten - dafür hoch. Es dauerte Jahre, bis der Staat den Hilferuf der irischen Frauen erhörte und endlich zusätzliche Kindergartenplätze förderte. Die staatliche Pension bleibt kümmerlich. Der Verdacht regt sich, dass die irische Fiskal- und Wirtschaftspolitik ein Schönwetterprogramm ist: Solange das Wachstum anhält, können Löcher unschwer gestopft werden, aber ein abrupter Einbruch hätte wohl schlimme Folgen, nicht zuletzt, weil die privaten Haushalte sich in ihrer Sehnsucht nach einem Eigenheim stark verschuldet haben.

Jene Ranglisten, die sich auf das Bruttosozialprodukt pro Kopf (anstelle des Bruttoinlandsprodukts) stützen, geben ein allzu rosiges Bild, denn die repatriierten Gewinne multinationaler Firmen übertreiben die Wirtschaftsleistung. Nein, es ist nicht der absolute Wohlstand der Iren, der Schwindel erregt, sondern die Geschwindigkeit, mit der diese Werte erreicht wurden. Diese Verwandlung hat Spuren hinterlassen: Irland ist im Verlauf seiner Aufholjagd anonymer, gehetzter und berechnender geworden. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.3.2005)