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Foto: APA/EPA/dpa/Joerg Carstensen
Pulheim/ Köln - Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisiert die "Gaskammer"-Kunstaktion scharf. Das Einleiten von Auspuffgasen in den ehemaligen jüdischen Betraum sei "eine Beleidigung der Opfer", sagte der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, bereits am Sonntag in Berlin.

Die "niveaulose" Aktion "geht über die Grenzen dessen, was angemessen ist, weit hinaus", so Kramer. Er frage sich, warum die Opfer und nicht die Täter provoziert würden, sagte der Zentralrats-Generalsekretär. Zweifelsohne müssten neue Wege der Erinnerung an den NS-Judenmord gefunden werden: "Aber wenn das die neue Form der Erinnerung ist, sollen wir dann Auschwitz wiedereröffnen und an die Besucher Gasmasken verteilen, um ein authentisches Erfahrungserlebnis zu bekommen?", fragte Kramer.

Schlingensief: "Zu platt"

Der ebenfalls für seine provokanten künstlerischen Interventionen bekannte Regisseur Christoph Schlingensief (45) lehnt die Pulheimer Aktion als zu banal ab. "Selbst einem alten "Provokationshasen" wie mir ist das zu platt", sagte er dem "Kölner Stadtanzeiger". Dem Künstler riet er: "Er soll seine Autos vor den Reichstag stellen und das Gas da rein leiten. Die Politiker könnten sich dann in Gasmasken entrüsten."

Henryk M. Broder: "Das ist vollkommen psychotisch"

Der Publizist Henryk M. Broder nannte am Dienstag in derselben Zeitung die Sierra-Aktion eine "gigantische Geschmacklosigkeit". Broder kritisierte eine "irre Fixierung" auf die Juden: "Die optimale Provokation in diesem Land ist es, einen Juden umzubringen - oder so zu tun, als müsste man verhindern, dass einer umgebracht wird. Das ist vollkommen psychotisch".

Giordano fordert: Niederträchtige Kunstaktion beenden

Als eine "Niedertracht sondergleichen" hat der Kölner Autor Ralph Giordano die Kunstaktion bezeichnet. "Hätte Sierra auch nur die kleinste innere Beziehung zu der Welt der Opfer, hätte er sich sein Pulheimer Machwerk verkniffen", sagte der Holocaust-Überlebende am Montag in Köln und forderte das Ende der - jeweils sonntags - bis 30. April geplanten Aktion. Der Bürgermeister des Ortes, Karl August Morisse, müsse "dem Spuk ein rasches Ende" bereiten.

"Den Ermordeten und den Überlebenden des Holocaust bleibt in Deutschland nichts, aber auch nichts erspart", kritisierte Giordano. Die Aktion von Santiago Sierra habe nicht das geringste mit Kunst zu tun, sagte der Publizist und Autor ("Die Bertinis").

Missbrauch der Kunstfreiheit

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland erneuerte seine heftige Kritik am Montag: "Das fiktive und geschmacklose Kunstspektakel verletzt nicht nur die Würde der Opfer des Holocausts, sondern der jüdischen Gemeinschaft", sagte Generalsekretär Stephan J. Kramer. Wer mit einer solchen Aktion, noch dazu in einer Synagoge, eine "Gaskammer" simuliere, "missbraucht schamlos die Kunstfreiheit".

Diskussion über angemessene Formen der Erinnerungskultur überfällig

Die "Sierra-Verfehlung" und die Reaktion der kommunalen Verantwortlichen von Pulheim mache deutlich, dass eine intensive Diskussion über neue und angemessene Formen der Erinnerungskultur "längst überfällig ist", betonte der Zentralrats-Generalsekretär. Diese Forderung habe der Zentralrat schon bei der Auseinandersetzung um das Holocaust-Mahnmal in Berlin ins Gespräch gebracht. Es gehe dabei um seriöse und angemessene Wege, ohne Schuldzuweisungen bei jungen Menschen "ein Verantwortungsgefühl für die Gegenwart und Zukunft zu erreichen", betonte Kramer. Das Werk Sierras "degradiert Geschichte zu einem fiktiven Spektakel und ist dabei nur schädlich". (red/APA/dpa)