Ministerpräsident Wen Jiabao hat Chinas 25-jährige Reformpolitik gegen neue innenpolitische Attacken wegen ihrer angeblich kapitalistischen Entgleisung verteidigt. Er versicherte am Dienstag auf einer Pressekonferenz zum Abschluss der Volkskongress-Tagung, dass es unter seiner Regierung weder einen "Stopp der Reformen noch ein Abrücken von ihnen" geben wird. Die Pekinger Führung habe auf Fehlentwicklungen bei ihren Wirtschaftserfolgen mit einem neuen Bauernprogramm und einem sozial und ökologisch korrigierten Wachstumskurs geantwortet.

Sie lasse sich von einem über tausend Jahre alten klassischen chinesischen Sprichwort des Dichters Ou Yangxiu leiten: Wer nüchtern handelt, könne "gefährliche Lagen entschärfen, Chaos ordnen und kommt voran, statt unterzugehen". Der Premier sagte: "Wir werden unsere Reformen und die Öffnungspolitik unbeirrt weiterführen. Wir gehen mit beiden einen sozialistischen Weg auf chinesische Art."

Wens Rechenschaftsbericht war zuvor von den 2900 Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit verabschiedet worden. Die Delegierten stimmten mit nur 50 Gegenstimmen auch dem Fünfjahrplan 2006– 2010 zu, der die neue Entwicklungsphilosophie der Pekinger Führung widerspiegelt.

Das bisher fast zweistellige Wirtschaftswachstum soll auf durchschnittlich 7,5 Prozent abgebremst, und Investitionen sollen in die Landwirtschaft, in die zerstörte Umwelt und in die technologische Erneuerung umgelenkt werden. Zugleich soll China auf einen nachhaltigen Einsparkurs bei Energieverbrauch und Rohstoffen gebracht werden. Mit seiner bisher unersättlichen Nachfrage hat es die Weltmärkte beeinflusst.

Um die Sozialkonflikte zu entschärfen, versprach Wen, mit schärfsten Gesetzen und Kontrollen zu verhindern, dass den Bauern "das Land willkürlich oder mit Gewalt weggenommen wird." Nach Berichten auf dem Volkskongress werden jährlich eine Millionen Bauern brutal enteignet.

Warnung an Taiwan

In seiner live übertragenen Pressekonferenz warnte der Premier Taipeh vor weiteren "Provokationen". Der taiwanische Präsident Chen Shui-bian hatte am Montag angekündigt, bald eine Debatte über eine neue Verfassung eröffnen zu wollen. Wen nannte es alarmierend, wenn über die Verfassung versucht würde, die "taiwanische Unabhängigkeit zu verrechtlichen". Peking werde die weitere Entwicklung scharf beobachten: "Wir bereiten uns auf alle daraus entstehenden Folgen vor." (DER STANDARD, Printausgabe, 15.3.2006)