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Foto: dpa/Steffen Kugler
Wien – Zwölfjährige Mädchen, die Brieftaschen stehlen und sich prostituieren müssen, trifft man nicht etwa nur in Sao Paulo oder Bangkok, sondern auch in Wien. Schlepper schleusen Kinder zurzeit vor allem aus Bulgarien nach Österreich und zwingen sie in die Kriminalität.

Mehr Aufgriffe

Im Jahr 2005 habe die Wiener Polizei 650-mal bulgarische Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren aufgegriffen, sagte Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) am Freitag nach einem Treffen mit ihrem bulgarischen Kollegen Georgi Petkanov. Heuer wurden allein im Jänner 211 Aufgriffe gezählt. Ob größerer Eifer der Polizei oder ein massiver Zustrom bulgarischer Mädchen der Grund für den Anstieg ist, sagte Gastinger nicht.

Weil die Mädchen erst mit 14 Jahren strafmündig sind, darf die Polizei sie nicht verhaften. Als Notlösung werden sie in offene Kinderheime gebracht, aus denen sie bei der nächsten Gelegenheit ausreißen. "Die werden von den Schleusern dazu erzogen", sagt Norbert Ceipek, Leiter der Kinderunterkunft "Drehscheibe" in Wien-Brigittenau. "Es ist eine Sisyphos-Arbeit."

Bildung hilft

Die Justiz- und Sozialministerien Österreichs und Bulgariens sowie Kinderschutzbehörden beider Länder haben nun ein Rückführungs- und Reintegrationsprogramm gestartet. Vorbild ist die Zusammenarbeit mit Rumänien, wo in den letzten drei Jahren 14 Krisenzentren für Kinder entstanden; österreichische Pädagogen schulen die Betreuer, und die Kinder bekommen eine Schulausbildung – für Ceipek der sicherste Schutz vor Schleppern: "Ungebildete Kinder sind leichte Beute."

Österreichische Sozialarbeiter bringen die Kinder persönlich zum Flughafen und stellen sicher, dass sie bei ihrer Ankunft in die Obhut vertrauenswürdiger Kollegen kommen. Unabhängige Kinderschutzorganisationen überwachen für ein halbes Jahr die Lebensbedingungen der Mädchen. Zu einigen hält Ceipek persönlich Kontakt.

Große Hoffnung

Der Erfolg des Programms lässt sich in Zahlen ausdrücken: Im Jahr 2005 griff die Polizei gerade 13-mal Mädchen aus Rumänien auf, heuer überhaupt noch nicht. 2003 hatte es noch über 300 Aufgriffe gegeben.

"Hundertprozentig bewährt" habe sich das Programm, sagt Ceipek. In die Neuauflage setzten "die Bulgaren große Hoffnungen" – ebenso Ceipek selbst und Ministerin Gastinger, bei der neben dem Kinderschutz auch die Sorge um die Handtaschenbesitzer anklingt. (Daniel Kastner, DER STANDARD Printausgabe, 11./12.03.2006)