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Zur Person

Boris Tadic (48) ist Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS). Der Sozialpsychologe hat zwei Kinder.

Foto: AP
Serbiens Präsident Boris Tadic glaubt, dass die Unabhängigkeit des Kosovo die Region destabilisieren würde. Und eine Kettenreaktion auslösen könnte, sagte er zu Andrej Ivanji .

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STANDARD: Pristina fordert die Unabhängigkeit des Kosovo, Belgrad lehnt das explizit ab. Haben die in Wien begonnen Status-Verhandlungen überhaupt einen Sinn?

Tadic: Das eigentliche Thema dieser Verhandlungen ist die Zukunft des Kosovo. Dabei sollte man die Lebensbedingungen der Menschen im Kosovo, von der staatlich-geschichtlichen Frage trennen. Deshalb steht im Vordergrund der Statusverhandlungen zunächst die Dezentralisierung der Provinz, die konkrete, alltägliche Probleme lösen sollte.

STANDARD: Ein Abkommen über die Dezentralisierung will die albanische Delegation aber erst nach der Unabhängigkeitserklärung anerkennen.

Tadic: Das ist eine gefährliche Manifestation eines uneuropäischen Wertesystems, und es wundert mich, dass die internationale Gemeinschaft das nicht verurteilt hat. Die Botschaft aus Pristina lautet, dass Menschenrechte im Kosovo erst nach der Lösung der Statusfrage anerkannt werden.

Das heißt wohl, dass andernfalls der nichtalbanischen Bevölkerung demokratische Grundrechte verweigert werden. Die Lage der Serben im Kosovo ist Besorgnis erregend. Parallel mit den Statusgesprächen müsste die Lebensqualität dieser Menschen verbessert werden und zwar nicht nur auf dem Papier.

STANDARD: Der neue Kosovo- Premier Agim ¸Ceku ist in Belgrad wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Erschwert das die Gespräche?

Tadic: Es ist unangebracht, dass Menschen, die wegen Kriegsverbrechen verdächtigt werden, politische Funktionen übernehmen, nicht nur im Kosovo, sondern in allen Teilrepubliken Ex-Jugoslawiens.

Das ist eine Manifestation bestimmter politischer Ziele und Werte, die, so befürchte ich, für den Verhandlungsprozess nicht produktiv sind. Aber Tatsache ist, dass nicht Belgrad, sondern das Kosovo-Parlament den Premier und die Verhandlungsdelegation bestimmt. Ich erkenne selbstverständlich die Rechte der Albaner an, werde über den Status verhandeln und alles tun, damit sich die Serben im Kosovo erhalten können.

STANDARD: Wenn der UNO-Sicherheitsrat die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt, würden Sie das auch tun?

Tadic: Nein, das würde ich nicht. Weil ich überzeugt bin, dass das nicht nur rechtlich völlig inakzeptabel ist, sondern in absehbarer Zeit auch die gesamte Region destabilisieren könnte. Eine aufgedrängte Unabhängigkeit könnte eine Massenflucht der Serben verursachen, was de facto einer ethnischen Säuberung gleichkäme und das Ende der christlichen Kultur in der Provinz bedeuten würde.

Wenn die UNO Kosovo-Albanern das Recht zur Selbstständigkeit gewährt, warum sollte das den Albanern in Mazedonien, der Kroaten und Serben in Bosnien verweigert werden? Um nicht missverstanden zu werden, ich unterstütze ein einheitliches Bosnien. Der Balkan ist aber klein. Die Lösung der nationalen Frage einer Volksgruppe, wird stets eine Kettenreaktion bei anderen auslösen. Deshalb muss für alle Völker des Balkans das gleiche Prinzip gelten. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.3.2005)