Irmgard Pinn sieht zwischen Westen und Islam gegenwärtig kein Klima für eine offene, konstruktive Auseinandersetzung "auf gleicher Augenhöhe".
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Die deutsche Soziologin Irmgard Pinn wurde durch ihre umstrittenen Thesen zum Islam bekannt. So warf sie beispielsweise Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer sowie anderen Feministinnen rassistische Denkweisen vor. Pinn beschäftigt sich vor allem mit der Bild der muslimischen Frau im Westen, das sie pauschal als Phantasiegebilde bezeichnet, ohne ihre Auffassung jedoch – zum Beispiel in Vorträgen – durch Fakten zu belegen. Nicht zuletzt deshalb wird der Soziologin häufig vorgeworfen, die Unterdrückung der Frau im Islam zu verharmlosen oder gar zu negieren. Unter anderem soll Pinn, die mit einem Iraner verheiratet und zum Islam konvertiert ist, auch die Ungleichheit zwischen Mann und Frau verteidigt haben, die von Allah gegeben sei. Für die Standard.at traf Donja Noormofidi die Soziologin zu einem Gespräch.

dieStandard.at: Sie tragen jetzt kein Kopftuch, ist das im Islam nicht Pflicht?

Pinn: Nach meiner Auffassung gehört das zwar zu den Pflichten, aber nicht zu den elementaren Säulen des Islam.

dieStandard.at: In islamischen Ländern herrscht aber Verschleierungspflicht.

Pinn: Es ist ein Unterschied, ob man über die islamische Lehre oder zum Beispiel die iranische Staatsdoktrin spricht.

dieStandard.at: Trotzdem können Sie wählen, ob Sie ein Kopftuch tragen oder nicht, die Frauen in vielen islamischen Ländern aber nicht.

Pinn: Dass sich eine Gesellschaft selbst Konventionen gibt, über Kleidungsvorschriften oder über Alkoholverbot, oder indem andere Drogen erlaubt oder verboten werden, das ist auf der ganzen Welt so.

dieStandard.at: In einem Ihrer Aufsätze kritisieren Sie, dass im Westen oft die Meinung herrscht, dass Gesellschaften, in denen Staat und Religion nicht getrennt sind, zwangsläufig emanzipationsfeindlich, despotisch und undemokratisch sind. Entspricht das nicht der Wahrheit, wenn Frauen nicht ohne Kopftuch auf die Straße gehen dürfen?

Pinn: Ich denke, dass das Kopftuch nur in Konfrontation mit einer Weltanschauung so problematisch wird, die das Kopftuchablegen zum Dogma erhebt. Ich finde das eine so unfrei wie das andere. Das regeln die Gesellschaften eben unterschiedlich.

dieStandard.at: Unterstützen Sie mit einer solchen Argumentation nicht Regimes, die eine Opposition nicht zulassen und die Hälfte ihrer Bevölkerung verschleiern?

Pinn: An diesem Kopftuch werden Kulturkämpfe ausgefochten, für mich ist das nicht so wichtig, ich bin kein anderer Mensch, nur weil ich Kopftuch trage. Meine Interessen richten sich darauf, dass eine Frau Zugang zu Bildung hat, dass sie berufstätig sein kann, dass sie in der Ehe partnerschaftlich behandelt wird, dass sie in der Kultur präsent ist und in der Politik mitmischen kann.

dieStandard.at: Das ist aber oft in islamischen Ländern nicht der Fall.

Pinn: Diese Ziele müssen überall erkämpft werden. Genauso wenig wie ich hier die gesellschaftlichen Verhältnisse, die mir nicht gefallen, als Einzelperson ändern kann, genauso wenig kann ich sie dort ändern.

dieStandard.at: Sie sind als Deutsche zum Islam konvertiert. Spricht es sich da nicht leicht? Schließlich hatten Sie, im Unterschied zu Frauen in muslimischen Ländern, die Wahl.

Pinn: Es lässt sich aus dem Islam begründen, dass Menschen, soweit sie keine feindseligen Absichten gegenüber ihrer Herkunftsreligion hegen, frei sein sollen, ihre Religion zu wechseln. Darüber hat auch unter islamischen Gelehrten eine Diskussion eingesetzt.

>>> Mehr zu Männern und Frauen im Islam, Feminismus und Rassismus-Vorwürfen auf der nächsten Seite.

dieStandard.at: Sie werden zitiert, gesagt zu haben, dass Allah die Ungleichheit von Mann und Frau festgelegt hätte.

Pinn: Oh mein Gott. Ich weiß, worauf Sie anspielen: Ich habe in einer Polizeiakademie vor zehn Jahren ein Seminar gemacht. Offenbar hat jemand später aus einem stichwortartigen Protokoll ein paar Sätze für den Jahresbericht zusammengeschrieben. Und das Ergebnis ist ein ziemlicher Unfug.

dieStandard.at: Sind jetzt Mann und Frau gleich oder nicht?

Pinn: Die islamische Anthropologie unterscheidet sich von der christlich geprägten westlichen in der Vorstellung, wie Mann und Frau "von Natur aus" sind. Im Islam ist Ungleichheit ein Schöpfungsprinzip, und zwar sowohl bezüglich der Natur als auch der nach Geschlecht, Intelligenz, Charakter usw. unterschiedlich geschaffenen Menschen. Im sozialen Leben - also auch zwischen Frau und Mann - sollen diese Unterschiede in ein harmonisches Verhältnis gebracht werden, wobei Gerechtigkeit das Leitkriterium ist. Die bei Muslimen häufig anzutreffende Abwehr des westlichen Gleichheitsprinzips beruht teilweise auf einem Missverständnis.

dieStandard.at: Auf welchem Missverständnis?

Pinn: Sie denken, dass das eine Angleichung mit Unisex-Ziel sein soll und das ist ja vom westlichen Verständnis her meistens gar nicht gemeint. Männer und Frauen sind biologisch de facto, das ist ja wohl unumstritten, nicht gleich.

dieStandard.at: Und was folgt aus der "biologischen Ungleichheit"?

Pinn: Das wird gesellschaftlich überformt. Die Spannbreite menschlicher Möglichkeiten ist sehr groß.

dieStandard.at: Im Islam aber sehr einseitig.

Pinn: Das würde ich nicht sagen. De facto sehen wir, dass sich das Leben von Muslimen in den letzten Jahren ganz rapide pluralisiert hat.

dieStandard.at: Sie haben in einem Aufsatz geschrieben, der Mann ist eher für das Äußere, die Frau für das Innere zuständig.

Pinn: Das ist eine sehr schematische Zuteilung. Früher denke ich aber schon, dass das so war, auch in Europa. Heutzutage dagegen gibt es ja auch im Iran beispielsweise kaum Bereiche, in denen nicht auch Frauen tätig sind.

dieStandard.at: Aber in den muslimischen Ländern in einem sehr viel geringerem Ausmaß als hier.

Pinn: Wenn man mit den jungen Frauen spricht, haben die wenigsten den Wunsch, nur im Haus tätig zu sein.

dieStandard.at: Sie sehen also, dass diese Entwicklung gut voranschreitet?

Pinn: Es gibt unheimlich viele Sachen, die noch zu tun wären, und vielen Frauen geht das alles viel zu langsam. Mich selbst packt auch manchmal der Zorn. Ich bin nicht so blauäugig, dass ich da immer nur das Tolle sehe

dieStandard.at: Wenn aber Feministinnen wie Cheryl Benard, Edit Schlaffer oder Alice Schwarzer sagen, im Westen lebt es sich für die Frau freier, nennen Sie das rassistisch. Stimmt es denn nicht, dass die Entwicklung hier schon weiter fortgeschritten ist und die Frau tatsächlich freier ist?

Pinn: Das kommt immer darauf an, was man unter frei versteht. Wenn es um die Freiheit geht, mehr auszuziehen oder die freie Sexualität auszuüben...

dieStandard.at: Aber es geht doch auch um andere Dinge, wie zum Beispiel ein extrem frauenfeindliches Scheidungsrecht im Iran, wo die Frau entweder auf alles verzichten muss oder sich nicht scheiden lassen kann.

Pinn: Im Iran stimmen islamisches Ideal und Lebenswelt nicht überein, was in der Tat oft zur rechtlichen Benachteiligung von Frauen führt. In der Praxis finden viele Frauen schon ihre Wege, um zu ihrem Recht zu gelangen.

dieStandard.at: Aber sie müssen Schlupfwege finden. Sie denken nicht, dass die Frauen im Westen und in Europa freier sind, außer wenn es darum geht, sich auszuziehen?

Pinn: Es gibt so eine Vielfalt. Ich denke, unsere Freiheit ist etwas, wovon wir zehren, ohne zu fragen, ob sie echt ist oder nur ein Etikett. Zum Beispiel in der Berufswahl oder im gesellschaftlichen Aufstieg sind wir nicht so frei, wie wir glauben

dieStandard.at: Dass es im Westen Ungerechtigkeiten gibt, kritisieren Feministinnen auch. Warum ist es rassistisch, wenn es um die Unterdrückung der Frauen im Islam geht?

Pinn: Weil es dabei oft um eine Hierarchisierung von Kulturen und um einen Dominanzanspruch des Westens geht, wobei besonders Alice Schwarzer tatsächlich unter die Gürtellinie zielt und auch mit Bildern arbeitet, Dinge an den Haaren herbeizieht und Verbindungen herstellt, die es nicht gibt. Zum Beispiel wenn es in einem Artikel um islamische Frauen geht und die Illustration dazu aus einem Bild von geschlachteten Schafen besteht, aus dem das Blut dem Betrachter nur so entgegenströmt. Das ist doch unter jedem Niveau.

dieStandard.at: Aber es muss doch erlaubt sein, Kritik am Islam zu üben, ohne dass man gleich als Rassistin abgestempelt wird?

Pinn: Natürlich ist das erlaubt, wenn wir unter uns sind, fliegen oft genug die Fetzen. Aber wenn ich mich in der deutschen Öffentlichkeit kritisch äußere, wird das dann oft so aufgegriffen, als sei dies das Einzige, was ich gesagt habe. Wir haben gegenwärtig kein Klima für eine offene, konstruktive Auseinandersetzung "auf gleicher Augenhöhe".

dieStandard.at: Verstärken Sie die Fronten aber nicht zusätzlich, wenn Sie in Ihren Vorträgen sagen, westliche Frauen kritisieren muslimische Frauen nur, um ihren Frust abzuladen?

Pinn: Das kann ich empirisch belegen. Komplementär dazu gibt es bei Musliminnen und Muslimen Klischeebilder von westlichen Frauen als "Emanzen" und "Huren", die ich ebenso kritisiere. Der gravierende Unterschied besteht allerdings darin, wer die Macht und die Ressourcen hat, seine Klischeebilder in Politik und Gesellschaft als "objektiv wahr" durchzusetzen. Während es für Europäerinnen relativ belanglos bleibt, wenn Muslime schlecht von ihnen denken, sind die westlichen Vorstellungsbilder für in Deutschland oder Österreich lebende Musliminnen von teilweise existenzieller Bedeutung.