Harun Farocki

Foto: Filmmuseum

Wien – Als es die Zeitschrift "Filmkritik" noch gab, ging Harun Farocki gelegentlich in Lokale, um Hefte, zu denen er selbst beigetragen hatte, unter die Leute zu bringen. Eine Frau "mit Abendkleid und Stola" fertigte ihn brüsk ab: "Wissen Sie, junger Mann, das habe ich nicht nötig, ich bin selbst in der Filmbranche."

Farocki schrieb diese kleine Begebenheit 1977 auf, in einem Text mit dem Titel "Ein Zigarettenende, ein Erfolgsarchitekt ohne Namen, der Peugeot 403, der Lohn einer Halbtagskindergärtnerin, Hitlers unerwartete Veröffentlichung, verwertbare Spuren einer kurzen Liebe, der 'Elsässer', der Nachklang eines Pling, ein Pferd, das ich sehr liebte, der tausendste Abend im Nepp-Lokal, Miou-Miou, eine Batikerin hat eine Frage, Ablagerung, nicht Akkumulation".

Mao-Bibel in der Suppe

Die Aufzählung erinnert nicht von ungefähr an Roland Barthes, an die "Mythen des Alltags", zu denen Farocki auch die Filme zählt, die er so sieht. Er antwortet darauf mit der Produktion von Texten und eigenen Filmen, und verschränkt diese Formen so kontinuierlich, dass er keiner Branche mehr angehören kann, sondern sich wie jeder Intellektuelle durch Differenz definiert.

Im Rückblick wird deutlich, dass diejenigen Vertreter der Generation von 1968, die sich am Kino orientiert haben, am besten vor den Dogmatismen gefeit waren, in denen die linke Bewegung bald erstarrte. Dafür klappte es mit dem Marsch durch die Institutionen nicht so. Die frühen Kurzfilme von Harun Farocki verweisen auf eine Unbedingtheit, die (in "Nicht löschbares Feuer") selbst dem Schmerz nicht ausweicht, wenn es um ein Bild von Vietnam geht, die aber (in "Die Worte des Vorsitzenden") einen "comic relief" kennt, wenn die Mao-Bibel in der Suppe landet.

Stillleben von Werbebilder

Der größte Teil des filmischen Werks von Farocki sind Untersuchungen. Er geht von Bildern aus, die schon existieren, und findet an ihnen die Bedeutungsebenen, die sie nicht auf den ersten Blick preisgeben – so nähert er sich den Aufnahmen aus Überwachungskameras wie den Fotografien der Royal Air Force, die im Zweiten Weltkrieg ganz Deutschland aus der Luft vermaß.

In einer parallelen Bewegung galt das Interesse der Entstehung von Bildern selbst – wie wird ein Playmate ausgeleuchtet? Was unterscheidet Stillleben von Werbebildern? Wie sieht "Ein Tag im Leben der Endverbraucher" aus, wenn die Reklame sich in die letzten Fugen des Alltags gedrängt hat?

Risikokapitalgesellschaft

Schon immer hat Farocki versucht, dem Kapitalismus bei der Arbeit zuzusehen – in seinem neuen Dokumentarfilm "Nicht ohne Risiko" hat er es geschafft, die Kamera an einem Ort der Vermittlung aufzustellen. Er protokolliert die Verhandlungen eines deutschen Unternehmers, der eine interessante Technologie entwickelt hat, mit einer Risikokapitalgesellschaft.

Die Vertreter des Gelds haben ihren eigenen Stil, sie ziehen sich zum Nachdenken in ihr Büro zurück und hören klassische Musik. Der Deal wird später in einer Pizzeria gefeiert – alle können das Gefühl haben, dass sie profitieren werden. Die diskrete Präsenz des Filmemachers bei Vorgängen, die eigentlich hinter den Kulissen vor sich gehen, dekonstruiert in bester kritischer Haltung den Konsum als die letzte Form gesellschaftlicher Integration.

Die Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum (bis 27. 3.) wird ergänzt durch eine Reihe von Filmen, die Farocki gemeinsam mit Antje Ehmann ausgewählt hat: Neben Werken von Godard, Garrel, Pasolini oder Minnelli findet sich hier auch der selten zu sehende "Ah Kam" ("The Stunt Woman"), ein Autorenfilm aus Hongkong von 1996.

"Ich verfilme meine Bibliothek", hat Harun Farocki einmal gesagt. Sein Werk begleitet das Zusammenwachsen von Bildern und Texten zu privaten oder öffentlichen Mediatheken. Dem ozeanischen Gefühl, das der Zugriff auf enorme Datenmengen auslösen mag, setzt Farocki eine zunehmende Reduktion auf konkrete Szenen entgegen, in denen als Detail sichtbar wird, was als Totalität des modernen Lebens unbeobachtbar bleiben muss. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.3.2006)