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Frankreichs Premier De Villepin sieht sich mit landesweiten Protesten konfrontiert.

Foto: AP/Christophe Ena
Was die französische Linke seit Monaten erfolglos versucht, schafft Dominique de Villepin mühelos: Der rechtsbürgerliche Premier eint die Opposition - gegen sich. Zehntausende Angestellte und Schulabgänger sind am Dienstag zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen auf die Straße gegangen, um die Regierung zum Rückzug des neuen, stark gelockerten Kündigungsrechts zu zwingen.

In Schulen, Universitäten, Metro-Betrieben und öffentlichen Ämtern wurde gestreikt. Auf den Flughäfen kam es zu Verspätungen. Ein dritter Protesttag voraussichtlich noch im März ist bereits in Planung. Die Proteste richten sich gegen einen neuen Arbeitsvertrag für Jugendliche unter 26 für Unternehmen mit über 20 Beschäftigten. Er ermöglicht in den ersten beiden Jahren Kündigungen ohne Grund.

Gewerkschaft gegen "Entlassungen per Fingerschnippen"

Es komme nicht infrage, dass die Regierung in Frankreich "Entlassungen per Fingerschnippen" ermögliche, sagte der Generalsekretär der kommunistisch gesteuerten größten Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault. "Wir werden nicht zulassen, dass Frankreich sich in die Länder mit den geringsten Sozialstandards einreiht."

Villepin kann durch die Protestwelle langfristig nur verlieren: Gibt er nach, verliert er jede Autorität als Regierungschef. Bleibt er hingegen hart, nimmt seine Popularität immer stärker weiter Schaden. In den jüngsten Meinungsumfragen ist der seit letztem Sommer amtierende Premier von 50 auf 36 Prozent abgesackt. Der Einbruch kommt überraschend; vor Kurzem noch galt der "Dauphin" von Staatschef Jacques Chirac als Favorit für die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr.

Missgeschicke nehmen zu

Doch der groß gewachsene Aristokrat mit dem weißen Haupthaar, der Napoleon verehrt und Gedichte schreibt, verheddert sich nicht nur in die Proteste gegen das neue Kündigungsrecht. Die tödliche Mückenepidemie auf der Übersee-Insel La Réunion unterschätzte er ebenso wie die Tragikomödie um den schrottreifen Flugzeugträger Clemenceau. Über Villepins Missgeschicke scheinen sich die Franzosen besonders zu freuen. Ende Januar würzte der 52-jährige seine flammende Europa-Reden mit so viel Zitaten von Erasmus, Klimt, Canetti über Zweig und Jelinek bis zu Broch, Bernhard und Freud, dass selbst Pariser Medien das Zählen aufgaben.

Jetzt, da die Umfragewerte einbrechen, gibt Villepin abrupt Gegensteuer. An seiner monatlichen Pressekonferenz verbot er sich letzte Woche jeden lyrischen Ton und putzte weder die Journalisten noch seine eigenen Minister herunter. Man spürte förmlich, wie er sein Temperament im Zaum hält und sich in Volksverbundenheit übt.

Mit Béret und Zicklein

Beim Landwirtschaftssalon in Paris ließ sich der Dichter-Aristokrat gar im Béret und mit einem Zicklein um die Schultern ablichten. Die Presse frotzelte nur, dies habe zu ihm gepasst "wie Zähne zu einem Huhn". Gravierender ist, dass nun in der eigenen Partei Kritik an Villepin laut wird. Parlamentsabgeordnete monieren, dass ein Politiker, der noch nie ein Wahlmandat errungen habe, nicht das Zeug zum Staatspräsidenten habe.

Selbst Minister nennen ihren Chef hinter vorgehaltener Hand nicht mehr "TGV" ("Très Grand Villepin") sondern "den kleinen Marquis". Auch das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Namen, die heute am Demonstrationszug durch Paris zu hören sein werden. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.3.2006)