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STANDARD: Wie sieht das neue Frauen-Mentoring-Programm der TU aus?

Ratzer: Es ist Gruppenmentoring, bei dem jeweils vier Mentees auf einen Mentor bzw. eine Mentorin kommen, die ihre Erfahrungen und ihre Kontakte zur Verfügung stellen. Gruppenmentoring auch deshalb, damit die Mentees von den Kontakten untereinander profitieren. Es geht darum, Strukturen zu interpretieren, und um das Relativieren der eigenen Position.

STANDARD: Wo ist die Abgrenzung zur Diplomarbeit-, zur Dissertationsbetreuung?

Ratzer: Es ist keine Fachbetreuung, sondern es geht um das "Rundherum" bei Qualifikationsschritten wie Dissertationen oder Habilitationen.

STANDARD: ...und wo ist sie zu verpönten Seilschaften?

Ratzer: Optisch wirkt es vielleicht ähnlich zu jenen Männerseilschaften, die wir seit Jahren und Jahrzehnten kritisieren. Aber im Gegensatz zu verdeckten Seilschaften sind unsere Mentoringprogramme völlig transparent und für alle Frauen offen. Und wir versuchen zu zeigen, wie wichtig es für die institutionelle und personelle Entwicklung ist.

STANDARD: Wird damit auch gezeigt, wo wissenschaftlicher Nachwuchs zu finden wäre?

Ratzer: Einerseits soll das Programm zeigen, wie wir mit Nachwuchs sinnhafterweise umgehen könnten, andererseits zeigt es auch, dass wir ein Problem haben, das wir nicht selbst lösen können.

STANDARD: Sprechen Sie dabei von der Vertragssituation?

Ratzer: Dass wir kein brauchbares Dienstrecht haben, ist das größte Problem aller Unis. Es gilt nach wie vor das Übergangsdienstrecht von 2001, das nur Zeitverträge vorsieht. Für jene, die so einen Vertrag haben, gibt es eigentlich keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung, außer auf Projektbasis. Man geht auf die 40 zu, die Vertragslage ist unklar. So verliert die Uni viele, die sie ausgebildet hat, weil man keine Perspektiven bieten kann.

STANDARD: Sie haben in einer Diskussion einen frauenfreundlichen Uni-Betrieb eingefordert. Wie würde der ausschauen?

Ratzer: In einem solchen Uni-Betrieb würden alle Tätigkeiten - Forschung, Lehre und Managementtätigkeiten - gleich bewertet. Schwierig wird es, wenn es um grundlegende Vorstellungen darüber geht, was eine Wissenschafterin macht. Welche Arbeitszeiten gibt es? Darf man das Haus vor 20 Uhr verlassen oder muss man sich dafür entschuldigen? Was ist vereinbar? Ich glaube nicht, dass lange Arbeitszeiten per se hohe Forschungsqualität nach sich ziehen. Und ich glaube auch nicht, dass dies die einzige Möglichkeit ist, Spitzenforschung zu leisten.

STANDARD: Wo müsste man da ansetzen, bei den Lehrplänen?

Ratzer: Mein Versuch, soziologische Themen als Teil der Lehre zu etablieren, ist gescheitert. Dieses Problem der fehlenden Themen hat sich mit den Baccalaureaten verschärft. Da die Studienpläne enger werden, scheint man noch weniger auf die Idee zu kommen, den Leuten auch Sozialkompetenz beizubringen, eine Ahnung über Ökonomie oder ökologische Zusammenhänge zu vermitteln. Wenn diese Inhalte nicht vorkommen, heißt das, dass die Ausbildungen für Frauen, die stärker an Zusammenhängen interessiert sind, tendenziell viel uninteressanter sind. Am M.I.T. oder an der ETH Zürich, mit denen man sich gerne vergleicht, ist das State of the Art. Sie haben fest verankerte Soziologie-Abteilungen.

STANDARD: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Wissenschaft, wie sieht es da aus?

Ratzer: Bisher hat es grundsätzlich funktioniert, weil alle im gleichen Vertragsschema waren und die gleichen Positionen in Bundesdienststellen bezogen werden konnten. Da konnten wir aber auch feststellen, dass Frauen notorisch in den schlechter bewerteten Positionen landen. Jetzt, in der relativ freien Vertragssituation, in der sehr viele über Drittmittel beschäftigt werden, müssen wir besonders aufpassen, dass Frauen nicht um einiges weniger verdienen, das zeigen auch Erfahrungen aus Deutschland. Was auch daran liegen mag, dass Frauen über ihre Einstiegsgehälter schlechter verhandeln beziehungsweise von vornherein weniger verlangen. (DER STANDARD, Print, 8.3.2006)