Ruth Weiss war 1955 eine der ersten Ausländerinnen, die die chinesische Staatsbürgerschaft erhielten.

Foto: DER STANDARD/Erling
Ruth Weiss, die letzte europäische Augenzeugin der chinesischen Revolution und der Aufbaujahre der Volksrepublik China, ist am Montag in Peking im Alter von 97 Jahren gestorben. Mehr als 70 Jahre lebte sie in China – zuerst als Lehrerin, dann als freie Journalistin und schließlich als Lektorin.

1955 wurde sie eine der ersten Ausländerinnen, die die chinesische Staatsbürgerschaft erhielten. 35 Jahre lang arbeitete sie für Chinas deutschsprachige Auslandspropaganda, vor allem für die Zeitschrift China im Bild. 1983 gehörte sie zu den elf berühmten "ausländischen" Experten, die von Peking zu Mitgliedern des Beraterparlaments ernannt wurden.

Die am 11. Dezember 1908 in Wien geborene Jüdin war 1933 per Schiff auf einer Studienreise nach Schanghai gekommen. Aus unterschiedlichsten Gründen verschlug es in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts viele westliche Ausländer nach China, die sich später mit den sozialen oder politischen Zielen der chinesischen Revolution identifizierten und nach 1949 in der Volksrepublik blieben.

Revolutionäre und Emigranten

Sie kamen einst als Revolutionäre aus dem spanischen Bürgerkrieg, flohen als jüdische Emigranten vor den Verfolgungen Hitlerdeutschlands oder begleiteten ihre chinesischen Partner. Unter den rund 100 westlichen Ausländern, die alle die chinesische Staatsbürgerschaft erhielten, waren Ärzte wie der Düsseldorfer Hans Müller, der Österreicher Richard Frey oder der Amerikaner George Hatem (Ma Haide), Lehrer wie die Berlinerin Käthe Zhao und die Schweizerin Olga Lee, Journalisten und Autoren wie Israel Epstein und der Neuseeländer Rewy Alley oder die deutsche Fotografin Eva Siao.

Die wechselvolle Geschichte dieser Gruppe von "Freunden Chinas", ihre Hilfe für Maos Sozialismus und ihre Verfolgungen während der Kulturrevolution, weil sie Ausländer waren, ist noch nicht beschrieben worden.

Ruth Weiss, die ihre zwei Söhne allein aufzog (ihre Ehe wurde geschieden), hat ihr Leben in einem dicken Memoirenband, "Am Rande der Geschichte" (1999 im Zeller-Verlag, Osnabrück, 543 Seiten mit 14 Bildern, erschienen), aufgeschrieben.

Mit 90 Jahren kam sie zu einer Erkenntnis über ihre sich ständig verändernde chinesische Heimat: "Früher konnte ich noch versuchen zu erklären, was in China vorgegangen war. Heute kann ich kaum voraussagen, was zu erwarten ist. Ich kann höchstens meine Konfusion mit Freunden teilen." (DER STANDARD, Printausgabe, 07.03.2006)