Euphorisch-melancholische Grenzgänge, die wundersame Überraschungen bereithalten: Franz Schuh.

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Franz Schuh:
"Schwere Vorwürfe, schmutzige
Wäsche"
€ 25,60/ 415 Seiten. Zsolnay, Wien 2006.

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Dir werd ich schon helfen", lautet eine der didaktischen Drohungen, die unsere Umgangssprache auf Lager hat. Franz Schuh, der mit derartigen und anderen Sätzen vom Hochgestochenen bis ins Dialektale umzugehen, sie nämlich umzudrehen weiß, bis sie sich ums Ganze und um allerhand Nebensächlichkeiten drehen, erscheint mir in seinen dialektischen Spiralen als ein Denkhelfer - seine Ansätze spielt er an die Bande, um sie dann unter neuem Winkel wieder aufzunehmen.

Die Schweren Vorwürfe sind gewichtig, die Schmutzige Wäsche färbt ab. Beides bildet den Titel des neuen Buches, Franz Schuh nennt es in der ironisch gedrehten Vorwortvolte sein "Hauptwerk, das aus lauter Nebensachen besteht". Eine dieser Nebensachen als kapitales Kapitel heißt "Lob der Nutzlosigkeit". Hier stellt der Denker klar, dass "im Politischen die Aufgabe der Glücksansprüche, der Verzicht auf sie, reaktionäre Züge hat". Sogleich kam mir in den Sinn, dass kürzlich in Paris ein Beamter des Außenministerium am Quai d'Orsay zu einer Kollegin Bezeichnendes gesprochen hatte: Es interessiere ihn nicht, ob seine Kinder glücklich seien, wahrscheinlich seien sie unglücklich, Karriere hätten sie zu machen, wie er selbst, Glück sei hierorts keine Kategorie. Diese Äußerung wirft mir im Scheine des Essays, in Schuhs umfassendem wie fragmentarischem Reflexionswerk, ein Licht auf einen im Lande der Eliteschulen gängigen kategorischen Imperativ.

Franz Schuh erzählt und analysiert, beschreibt und überprüft (sich) in seiner Art Selbstgespräch, er reflektiert und dichtet, er löst auf und verdichtet. Seine Suche nach dem Nutzlosen habe er just an jenem Tage begonnen, an dem er Freddy Quinn, einem Idol seiner Jugend, begegnet sei und eine Glosse mit Worten über das Glück eingeleitet habe. Deren Tenor betont einen Beweggrund von Schuh: das Überlegen gegen das Skript, die Schrift gegen die Vorschrift. Vom Sozialen kommt er auf das Ästhetische, vom Ästhetischen wieder auf das Soziale, vom Nutzlosen auf die Kunst. Deren Duldung, ja Förderung habe mit der Fähigkeit einer Gesellschaft zu tun, "Menschen, die keine Arbeit (mehr) leisten, dennoch leben zu lassen". Die Amoralität der Kunst freilich sei eine Moral, ihr anerkannter Selbstzweck bloß ein relativer Selbstzweck. Es könne sein, dass wir in unserer Kultur das Nutzlose gar nicht nutzlos zu denken vermögen; dies liege "in dieser - der westlichen Welt - eingefleischten Zweckstruktur, in der ein merkwürdiges Verhältnis von Erbaulichkeit und Zerstörung herrscht". Die Antithesen "machen die Thesen erträglich, vor allem wenn die Antithesen das Stadium der Imagination nicht verlassen", gibt Schuh zu bedenken und antwortet auf die Einladung, bei einer Tagung eine Lobrede auf die Nutzlosigkeit zu halten, er würde sich gerne beim Symposium unnütz machen, habe jedoch keine Zeit.

Die Vorgangsweise des Kapitels scheint mir bezeichnend. Es ist eine Philosophie der Ansätze, die fortwährend ins Narrative tendiert, eine Erzählung, die immer wieder ins Philosophische steuert und es auch mit dem vorgeblich Trivialen zusammenbringt. Hintergründige Beziehungen verbinden Weltausschnitte und Sprachstücke, lassen sie sich gegenseitig kommentieren, Erzählung und Essay, Schilderung und Reflexion, Eigentümliches und Allgemeines, Gemeines und Erbauliches, dem existenziellen Durcheinander das Durcheinander eines Hauptwerkes, eines Werkes des Hauptes, abgewonnen und beigesellt. Allerlei, das sich gewaschen hat. Notate, Aphorismen, Gedichte, Visionen, Bekenntnisse, Denkbewegungen, in Textabschnitten bis zu zehn, zwölf Seiten. Unter dem Titel "Café Hegelhof" sitzt am Ende des Kapitels der Verleger im Text fest, dieses "Café Hegelhof" sei unvollständig, brüchig, assoziativ, ein Entwurf. Nein, antwortet das Erzähler-Ich von Franz Schuh, "ein für alle Mal", das sei kein Entwurf: "das ist alles". Die Rache der Verleger ist - wie bei den Werken von Karl-Markus Gauß, einer neuartigen philosophischen Reiseerzählung - die Einordnung ins Sachbuchladl, und so ist denn Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche für den Preis der Leipziger Buchmesse in dieser Kategorie nominiert.

Dabei schreibt Schuh dem Verleger und den Kritikern gehörige Rezensionssätze vor, "buntes Gemisch", "phantasierte Visionen", fällt sich selbst ins Wort, um schließlich zu erklären, die "euphorisch-melancholischen Grenzgänge des Anti-Helden Franz Schuh halten wundersame Überraschungen bereit".

Es sind keine Untergänge des Abendlandes in Anekdoten, sondern Lebensbilder, Gesellschafts- und Denkskizzen mit beträchtlicher, gelegentlich nachgebesserter Tiefenschärfe. Vom Anekdotischen verlaufen Wege ins Metaphysische und retour. Nachdem Jacques Lacan durch Wien geführt worden war, rief er im Flughafenrestaurant urplötzlich aus, das Beisl gebe es nicht, erhielt postwendend vom Schuh-Erzähler-Ich eine Kassette mit Peter Alexanders Chanson "Das Beisl in unserer Straße" zugeschickt, antwortete auf einer Eiffelturmansichtskarte lacanisch "le Beisl n'existe pas". Franz Schuh kontert mit einer Erzählung, von Beisln der Kindheit, sowie mit einer Beisltypologie in nuce samt niederschmetternd erhebenden Sätzen: Die Beisl waren, und seien es vielleicht noch heute, "die wirklichen Universitäten der Stadt - hätte es im Beisl nicht weniger Scharlatane gegeben als in der Alma Mater Rudolfina, dann hätte man die beiden Institutionen glatt miteinander verwechseln können".

So hilft uns Schuh vergnüglich ernsthaft beim Nacherleben und Nachdenken, über Justiz und Literatur, Verbrechen und Produktion, über Negativismus und Routine, Geld oder Leben, Langeweile und Kulturhauptstädte. Er bietet nicht weniger als Notizen zur Dumpfheit und zur Metaphysik der Feindschaft, eine "Kleine Einführung in den dialektischen Masochismus", sprich: das Raunzen, "Eine kleine Geometrie der Lüge" und die kürzeste Romantheorie: "Ich bin für das Unklare. Ein Roman sollte wie eine Uhr sein, der man niemals ansieht, wie spät es ist."

Da sind wir wieder beim Lob der Nutzlosigkeit und bei der Ästhetik. Keine geringere Aufmerksamkeit widmet Schuh den Charakterstudien, vom Nächsten ausgehend, also von sich selbst, zu einer symptomatischen Soziographie gelangend. Im "Gasthaus Ederl" beobachtet er Larven und Figuren und den Wirt, schafft er ein bezeichnendes Porträt des gewesenen Fabrikanten Völler-Schneckenbach samt Frau; "Menschen im Hotel" ist eine wunderbare kleine Erzählung über das Unbehauste im Behausten oder umgekehrt. Eigenheiten des Fremdseins bringt der ängstliche Reisende in zahlreichen Berichten und Geschichten zur Sprache, aus Palermo, Madrid, London. Und aus Brasilien, "für mich das Fremde schlechthin, und alles, was ich darüber sagen kann, entspricht einem Konzept, folgt einem Skript, das nicht nur diese Fremdheit nicht auflöst, sondern das darüber hinaus ständig auf mich zurückschlägt: Ich definiere gar nicht São Paulo, sondern was ich darüber sage, definiert am Ende mich".

Vom Erlebnis gelangt Franz Schuh zur Analyse, von der Analyse zum Erlebnis, von einer Verwechslung und einer Polizeiperlustrierung in der Wiener Innenstadt zu Ernst Jandl, zum problematischen Verhältnis von Leben und Schreiben. Er kultiviert das Erstaunen, "Im Museum der Wahrnehmung" bezieht er es darauf, dass das Gedachte "über die Hand hingeschrieben" werden kann. Laut Nietzsche arbeitet das Schreibwerkzeug mit an unseren Gedanken, bei Schuh liest man Eindringliches über die Fetischisierung der Schreibgeräte und über das Schreiben als Handwerk. S ich selbst hat Schuh eine handwerkliche Breite verschrieben. Er präsentiert sowohl "Allgemeinheiten beim Konsum von Lyrik" als auch, im Buch verteilt, mehr als zwanzig eigene Gedichte. Dichtung sei der Ort, "an dem das Ästhetische das Soziale nachdrücklich distanziert". Seine Lyrik schafft dies, sie erscheint mir allerdings bisweilen zu betont simpel. Eine lässliche Frage, weist doch Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche einen Meister der tiefen Einsichten und der Formulierung aus: "Weitra ist eine Stadt in der Nähe von Gmünd, während Gmünd eine Stadt in der Nähe von Weitra ist" . . . Franz Schuhs (laut Vorwortvorschrift) Grenzgänge verbinden das Existenzielle und das Beiläufige auf eine genüssliche und nachdenkenswerte Art zu einem Hauptwerk. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, , 04./05.03.2006)