Zur Person

Gudrun Harrer (46), karenzierte Leiterin des außenpolitischen Ressorts des Standard, ist Sondergesandte der österreichischen EU-Präsidentschaft und Geschäftsträgerin der österreichischen Botschaft im Irak.

Foto: Matthias Cremer
Österreichs Irak-Gesandte Gudrun Harrer zieht eine Woche nach dem Anschlag von Samarra Bilanz: Den Schlüssel zur Beilegung von Gewalt und Regierungskrise haben derzeit allein die Iraker, sagt sie im Gespräch mit Markus Bernath.

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STANDARD: Wie prekär ist die Sicherheitslage im Irak seit dem Anschlag auf die Goldene Moschee geworden?

Harrer: Die Schiiten haben in der Vergangenheit sehr viel Gewalt erduldet und sind nicht organisiert auf die Sunniten losgegangen. Das ist jetzt anders. Zum Teil spontan, zum Teil organisiert haben sie sunnitische Moscheen angegriffen. Das ist der qualitative Unterschied in der Gewalt, daneben ist natürlich die Zahl der Anschläge rasant gestiegen.

Der erste Tag nach dem Ende der Ausgangssperre - der vergangene Montag - war wirklich ruhig. Das war eine Art Bewährungsprobe, und alle hier haben aufgeatmet. Doch am Dienstag begannen wieder die Anschläge, meistens erneut gegen die Schiiten. Die Sicherheitslage ist jetzt bei Weitem nicht wieder auf dem Niveau vor dem Anschlag von Samarra, und schon damals war sie ja nicht gut.

STANDARD: War ein Schlag gegen die Schiiten wie die Zerstörung der Goldenen Moschee nur eine Frage der Zeit, oder stand dahinter ein besonderes Kalkül?

Harrer: Der Zeitpunkt war ziemlich bewusst gewählt, glaube ich. Man wollte den politischen Prozess unterbrechen.

STANDARD: Das ist ja dann auch gelungen. Die Sunniten haben sich aus den Gesprächen über eine Regierungsbildung erst einmal zurückgezogen ...

Harrer: ... sind dann am vergangenen Wochenende an den Verhandlungstisch zurückgekehrt und stehen seit zwei, drei Tagen in einer echten politischen Krise. Das ist die große Enttäuschung. Premierminister Jafari ist in die Türkei gereist, was ihm übel genommen wurde. Einmal aus praktischen Gründen, weil man fand, er sollte nicht fahren, solange keine neue Regierung im Amt ist; dann erregte die Reise besonders den Zorn der Kurden, Staatschef Talabani rügte öffentlich den Premier. Es gibt nun offenbar massive Versuche, Jafari als Kandidat für das Premiersamt scheitern zu lassen. Diese Versuche könnten auch Erfolg haben. Von einer Regierung der nationalen Einheit sind die Iraker nun noch weiter entfernt.

STANDARD: Wie kommt man aus dieser Situation wieder heraus?

Harrer: Ich fürchte, man kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel tun. Das ist jetzt wirklich eine irakische Angelegenheit. Ein Vorschlag, der von außen, von amerikanischer Seite kam, war, nun zumindest die Debatte um die Revision der Verfassung zu entspannen und die Umsetzung von Teilen, die den starken Föderalismus betreffen, auf Eis zu legen. Die Reaktionen dazu sind sehr gemischt. Die Überlegung aber ist, dass eine Verfassungsdebatte die Gräben zwischen den Parteien jetzt nur noch weiter aufreißen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.3.2006)