Clegg & Guttmann haben in der Secession einen Gerätepark installiert, um das Publikum auf entsprechendem Niveau bei Laune zu halten – also beschäftigt. Das Ertüchtigungsprogramm liefern Ernst Mach, Ludwig Bolzmann

und Exponenten des Wiener Kreises.


Wien – Mitmachkunst ist nicht zu Unrecht allerlei Bedenken ausgesetzt. Vor allem jene Mitmachkunst, die physische Aktivität als unabdingbaren Teil der ästhetischen Erfahrung einfordert. Das Mitdenken als finaler Akt des Kunstvollzugs geht ja noch an, und dass es bisweilen ziemlich mühsam ist, so einem Kunstwerk überhaupt nahe zu kommen, dass Türme hochgestiegen, Höhlen erwandert oder Aufseher bestochen werden müssen – o. k.

Aber dazu verdonnert, im und am Werk selbst Hand anlegen zu müssen, einen szenisch konstituierenden Part womöglich noch vor Publikum zu übernehmen, da kann man sich schon unbehaglich fühlen, da kann sich die aller ästhetischen Erfahrung vorstehende Lust, das alltägliche Erleben umzudeuten, ganz rasch verflüchtigen.

Es geht ja noch an, sich im Schatten abertonnenschwerer Stahlplatten angstgebeugt ins Zentrum einer Richard-Serra- Ellipse vorzumäandern, um sich derart zumindest für den Moment seiner selbst bewusster zu werden, es hat schon etwas, mit James Turrell durch einen mit saukaltem Wasser gefüllten Krater zu tauchen, um endlich zu einem Schlot zu gelangen, von dessen Basis aus man ausschnittsweise einen super Eindruck vom Himmel bekommt, und es ist schließlich nicht unanimierend, sich eine Architektur zu ergehen.

Aber muss man den Auf^fassungsunterschieden zwischen Ludwig Boltzmann und Ernst Mach wirklich am eigenen Leib nachspüren, muss man auf einen Weg durch die Secession wirklich achtmal das Kreuz auf sich nehmen, sich spielerisch in Wahrnehmung zu üben, sich etwa entscheiden, ob man ein Schlag 2. Spalte zeug verwendet, um sich dem vorgegeben Rhythmus anzupassen oder dazu, sich ebendem zu widersetzen?

Sicher, die Apparate, die Clegg & Guttmann im Hauptraum installiert haben, um Mach vs. Bolzmann als interaktive Animation nachzustellen, sind lustig, und der Parcours mag abwechslungsreich gestaltet sein, und aus den potenziellen Erfahrungswerten, die ein Umgang mit den Trimmgeräten bergen mag, lassen sich sicher Rückschlüsse auf den grundlegend subjektiven Charakter des individuellen Erfahrens und somit auf Mach, aber auch solche auf das Durcheinander der 3. Spalte Moleküle und das so bestimmend Dissonante der modernen (metropolen) Welt, wie Bolzmanns sie erlebte, ziehen.

Und davon ausgehend, kann man dann schon ganz ordentlich über jenes legendär spezielle Brodeln reflektieren, welches das frühe 20. Jahrhundert geprägt hat und auch in Wien zur Secession als Bewegung mit Haus führte.

Oder man denkt an etwas ganz anderes, an die kommende Documenta etwa, und deren zentrale Fragestellungen: Was tun? Was ist das bloße Leben? Ist die Moderne unsere Antike?

Das Künstlerbuch, das Clegg & Guttmann in der Art eines vergilbten Uni-Skriptums zusammengestellt haben, ist jedenfalls zweckdienlich, die absolvierten Übungen auch richtig zu verorten. Und wie in jedem anderen Ertüchtigungsbetrieb auch werden Videos zur Unterstützung des Workouts projiziert.

4. Spalte

In diesem Fall tragen Wiener Kulturschaffende Texte von Mach, Bolzmann, Weininger, Kafka, Musil und Loos vor. Und Clegg & Guttmann schicken voraus: "A hundred years or so after the beginning of modernism we find ourselfs deeply uncertain about what answers to give to the most basic questions of ethics, aes^thetics and politics." Alles bislang Gedachte also scheint unbefriedigend, weil immer noch so vieles unbeantwortet ist und also konfliktreich. Ihre Apparaturen sollen demnach zum Nachdenken über die Lage anregen, zur Rückbesinnung auf das (körperliche) Selbst.

Und es scheint, als fänden die beiden es angebracht, öffentlich nachzudenken, allein oder in der Gruppe das Bewusstsein zu trimmen. Und es scheint, als misstrauten sie dem Text als Anregung; es scheint, als wären sie der nicht unverbreiteten Überzeugung, dass ohne Animation gar nichts mehr geht. Und also wird ein Gerätepark ersonnen, um das mit dem Reflektieren auch lustig zu gestalten – für die Praktizierenden ebenso wie für die Zuschauer. Oder: Der Kunstbetrieb erschöpft sich in avancierter Museumspädagogik. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.3.2006)