Modell von J. Lindeberg

Foto: J. Lindeberg
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Der Kampf um Aufmerksamkeit kennt keinerlei Schongebiete: Zunächst schneiderte Dior Homme-Chef Hedi Slimane die Anzüge derart gebieterisch eng, dass selbst Karl Lagerfeld, der 70-Jährige, sich einer extremen Hungerkur unterwarf. Der schwedische Designer Johan Lindeberg treibt das Prinzip "zu eng, um noch männlich zu sein", nun in die Breite. Für kommenden Herbst hat er Jeans entworfen, die selbst für den abgemagerten Lagerfeld zu eng sein dürften: "Alles, was enger ist, müssen Strümpfe sein", verkündet Lindeberg prahlerisch. Und: "Die Dressmen mussten sich tatsächlich auf den Boden legen, um in die Jeans hineinzukommen."

Nun mag Johan Lindeberg ein Extremist sein, doch der Trend zu engen Jeans für den Mann zeigt sich an breiterer Front: Selbstverständlich gibt es bei Slimane hautenge Röhren. Das In-Label "Acne" (ebenfalls aus Schweden) ist ebenfalls mit von der Partie. Dass Mode nicht immer "gut angezogen" bedeuten muss, haben die Männer inzwischen verstanden. Aber Lächerlichkeit und Männlichkeit vertragen sich weiterhin schlecht.

Anziehen, ohne etwas sagen zu wollen

Um kurz das andere Extrem mit der Geißel zu streifen: Wie froh stimmt der Anblick eines Mannes, der keine Baggy Pants trägt. Oder solche mit gutgefüllten Seitentaschen, die so genannten Cargos. Wie gut tut es überhaupt, wenn es zumindest einige Männer noch gibt, die sich einfach bloß anzuziehen verstehen - ohne dadurch gleich "etwas sagen" zu wollen.

Dabei muss man weder Schwede sein noch Kunsthistoriker, wie Hedi Slimane, um das Aufkommen der engen Jeans "ausgerechnet jetzt" zu verstehen: Das Repertoire an Kleidungsstücken für Männer ist begrenzt. An Anzügen und Hemden wurde buchstäblich alles schon experimentiert und wieder verworfen. Jeans hingegen sind billig, sie sind kein Bestandteil der formalen Garderobe. Jeans sind, nach dem T-Shirt, die ideale Spielwiese für das Modedesign.

Den Satz mit den Strümpfen noch einmal - im Sinne Hedi Slimanes - vor der Modegeschichte beleuchtet: Männer in strumpfengen Hosen gab es zum letzten Mal im Mittelalter, man trug dort die Röhren unter einem bolzensicheren Wams. Dann, nach den Kreuzzügen, veränderten sich an Frauen und Männern die Kleider dergestalt, dass "die Geschlechtsmerkmale aggressiv heraustreten konnten", wie Arno Brost es in "Lebensformen des Mittelalters" beschreibt. Diese Phase aber liegt bereits mit den 80er-Jahren hinter uns. Könnte es also sein, dass die moderne Geschichte sprunghaft konträr zur Entwicklung des Mittelalters verläuft? Kündigen sich etwa mit den strumpfhüllenartigen Jeans aus Schweden und Frankreich einige noch zu führende Kreuzzüge an?

Ein Zuviel an weltpolitischer Dimension sollte man der Mode nicht beimessen. Man beschränke sich lieber auf das mikrogeschichtliche, das Verhältnis von Frau und Mann. Was also will uns ein Mann "sagen", wenn er mit eingepresstem Geschlechtsteil in strumpfartigen Hosen unter die Frauen tritt - eher stelzt?

Den Hodensack verstecken

Vielleicht, dass er aufgegeben hat. Es wird ja zurecht vor der Unfruchtbarkeit durch enges Jeanstragen gewarnt. Der Mann in hautengen Röhren - hier muss es leider einmal ausgeschrieben werden -: versteckt seinen Hodensack. Hierzu gibt es übrigens einen lehrreichen Streit zwischen den Schriftstellern Peter Schneider und Peter Handke aus den 80er-Jahren: Schneider behauptete, nur in allerengsten Jeans überhaupt schreiben zu können. Er brauchte den tief in ihn einschneidenden Zwang, den seine Hosen ihm auferlegten. Handke widersprach vehement: Nur in den allerweitesten Hosen von allen könnte sich seine Poesie entfalten. Diese ist bekanntlich ja frei, wie sonst nur die Vögel es sind. Schneider, der Schamlose, dachte bei Vögeln stets an Menschliches, allzu sehr Menschliches für des edlen Poeten Geschmack.

Interessant bleib die Tatsache, dass Jeans einmal als Arbeitshosen erfunden wurden. Sieht vielleicht so die Arbeit des künftigen Mannes aus: Nach dem Aufstehen hinlegen, um in die Jeans hineinzukommen, dann sich aufhelfen lassen um herumstehen oder bereits wieder liegen zu können? Sicher weiß man es immer erst hinterher. (Der Standard/rondo/03/03/2006)