Für vier Wochen sollte Londons Bürgermeister Abschied von seinem Rathaus nehmen. Vorher las er den Beamten, die ihm die Zwangspause verordneten, gestern noch einmal kräftig die Leviten. Ein Bürokratengremium, das sich anmaße, Volksvertreter nach Gutdünken abzustrafen, sei eine "unnötige Verschwendung von Zeit und Steuergeld, es sollte abgeschafft werden", wetterte Ken Livingstone. Vom 1. März an sollte er die City Hall nicht mehr betreten dürfen. Doch kurz bevor das Hausverbot in Kraft trat, entschied ein Richter am High Court, es einzufrieren - vorläufig letztes Kapitel einer erbitterten Kontroverse.

Vom bevormundenden Staat ist die Rede, von einer "Schande für die Demokratie", wie der Rockstar Jarvis Cocker poltert. Die Gretchenfrage lautet: Wie kommt ein nicht gewählter Ausschuss dazu, einen gewählten Bürgermeister in die Ferien zu schicken? Drei Beamte, die die wenig bekannte "Schiedsgerichtliche Kammer für England" bilden, haben entschieden, dass Livingstone grob gegen ethische Normen verstoßen habe.

Wortwechsel liegt zwölf Monate zurück

Dass die Affäre überhaupt solche Kreise zieht, hat mit Livingstones markantestem Wesenszug zu tun: seiner Sturheit. Anders lässt sich kaum erklären, warum er sich nicht entschuldigte, nachdem er einen Reporter mit einem KZ-Aufseher verglichen hatte. Der Wortwechsel liegt zwölf Monate zurück.

Der "Mayor" gab einen Empfang für Chris Smith, einen früheren Kulturminister, der den Mut besaß, sich als HIV-Infizierter zu outen. Hinterher wollte Oliver Finegold, angestellt bei der Stadtzeitung Evening Standard, wissen, wie es gewesen war. Worauf Livingstone zurückblaffte: "Haben Sie einmal daran gedacht, sich behandeln zu lassen? Was haben Sie eigentlich früher gemacht? Waren Sie ein deutscher Kriegsverbrecher?" Finegold: "Nein, ich bin Jude, und ich finde Ihre Bemerkung ziemlich beleidigend." Livingstone: "Na ja, Sie mögen zwar jüdisch sein, aber eigentlich sind Sie genauso wie einer dieser KZ-Aufseher. Sie machen das, was Sie machen, weil Sie dafür bezahlt werden, stimmt's?"

Der Stadtvater hasst sein Lokalblatt, das seinerseits nicht immer fair mit ihm umspringt und es einmal schaffte, in einem einzigen Artikel über ihn acht abwertende Attribute unterzubringen, von beängstigend über gierig bis hin zu knurrend. Egal, hätte Livingstone einfach "Sorry" gesagt, alles wäre längst vergessen gewesen, gibt der Dachverband der britischen Juden zu bedenken. So aber sei er der Architekt seines eigenen Missgeschicks. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.3.2006)