Die Akropolis von Aigeira im nordöstlichen Achaia, Nord-Peloponnes.

Foto: http://www.sciem2000.info
In der Geschichtsforschung braucht es vor allem eines: eine solide chronologische Grundlage, auf die auch benachbarte historische Diszipline aufbauen und zurückgreifen können. Zum Leidwesen vieler Ägyptologen, Mykene-Forscher oder Experten für den levantinischen Raum ist eine solche synchrone Zeiteinteilung für das 2. vorchristliche Jahrtausend jedoch größtenteils nicht existent. Die Datierung einzelner Ereignisse oder Kulturen weisen in den verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen zum Teil Abweichungen von bis zu 150 Jahre auf. SCIEM 2000 ist ein umfangreiches Forschungs-Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, genau diese asynchronen Zeitrechnungen einander anzugleichen.

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In den frühen 1970er Jahre setzten Archäologen der Universität Wien Grabungen in Aigeira im Nordosten des Peloponnes am korinthischen Golf dort fort, wo bereits vor dem Ersten Weltkrieg bedeutende Funde gelungen waren. Bekannt war die Grabungsstätte vor allem durch die Freilegung eines antiken Theaters und des "Zeus’ von Aigeira", einem gut erhaltenen Marmorkopf, der heute im Griechischen Nationalmuseum in Athen zu bestaunen ist.

"Barbarische" Keramik

Das Team um Professor Wilhelm Alzinger entdeckte 1972 auf dem 414 Meter hohen Hügelplateau im Zuge ihrer Grabungen Gebäudereste aus mykenischer Zeit. Für Verwirrung und Aufregung unter den Wissenschaftern sorgte jedoch nicht die "Mykenische Akropolis" von Aigeira, sondern Artefakte, die auf dem ersten Blick weniger spektakulär aussahen: Keramikscherben, die nicht der mykenischen Kultur zuzuordnen waren und als "Barbarian Ware" bezeichnet werden.

Die Siedlungsperiode auf dem Hügel begann nach den Erkenntnissen der Archäologen im 12. Jahrhunder vor Christus und setzte sich fort bis in die so genannten "Dark Ages" der nach-mykenischen bzw. vor-helladischen Zeit. Was die Wissenschafter so beschäftigte, war die Tatsache, dass sich die "barbarischen" Keramiken, die sich ansonsten auch an anderen Orten in der selben zeitlichen Grabungsschicht SH IIIC entdecken ließen, hier bereits in älteren Schichten zu finden waren, vor der mykenischen Periode also. Das Rätsel sorgte unter den Mykene-Experten für beträchtliche Diskussionen und streift gleichzeitig die Problematik der Geschichtsforschung im östlichen Mittelmeerraum: Das Fehlen einer interdisziplinär verbindlichen Zeitlinien für das 2. Jahrtausend vor Christus.

Grönland-Bohrung

Die Funde einer Gruppe dänischer Forscher illustrieren diese offene Frage auf noch eindringlichere Weise: Bohrungen in Grönland-Gletschern im Jahr 1987 förderten Partikel zutage, die eine auffallende Ähnlichkeit mit jener der minoischen Thera-Eruption zeigten. Die Wissenschafter datierten die Proben anhand der Eisstratigraphie auf etwa 1650 v. Chr. - und wichen damit um rund 150 Jahre von der zeitlichen Einordnung der Explosion der Insel Thera (heute Santorini, Anm.) ab, wie sie etwa in der Ägyptologie gebräuchlich ist. Zwar ist für dieses konkrete Datierungs-Problem noch keine Lösung in Sicht, das Spezialforschungs-Projekt SCIEM 2000 stellt allerdings einen bedeutenden Schritt in die richtige Richtung dar.

SCIEM 2000 wird unter anderem vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) finanziert und hat sich die Klärung dieser chronologischen Ungleichheiten zum Ziel gesetzt. Seit 1999 arbeiten in internationalem und interdisziplinärem Rahmen zahlreiche Wissenschafter in mehreren Einzelprojekten an der Zusammenführung und Synchronisierung der teilweise drastisch divergierenden Datierungen.

"Spezialwaffe" Schichten-Vergleich

Eine "Spezialwaffe" stellt hier das Projekt der vergleichenden Stratigraphie dar: Ausgehend von der ägyptischen Chronologie versuchen die Forscher anhand der widerkehrenden Kombinationen von Handelsobjekten, wie etwas Keramiken, das exakte zeitliche Verhältnis von Grabungsschichten in Ägypten, Israel/Palästina, Jordanien, Syrien, Anatolien, Zypern, im Ägäische Raum und Mesopotamien zu klären.

Neben den historischen Disziplinen stellen umfangreiche naturwissenschaftliche Methoden eine wesentliche Säule der SCIEM 2000-Forschungen dar. Diese umfassen sowohl die Dendrochronologie, die Vermessung von Baumringen – etwa an libanesischen Zedern – ebenso wie die C14-Methode bis hin zur sogenannten Neutronenaktivierungs-Analyse, mit der etwa die exakte Herkunft von vulkanischem Bimsstein eruiert werden kann.

In den kommenden drei bis fünf Jahren sollen im Rahmen des SCIEM 2000-Projekts Handbücher als Standard-Nachschlagewerke zur Verfügung stehen. Am Ende des ambitionierten Vorhabens steht eine solide wissenschaftliche Grundlage für die geschichtliche Erforschung des ostmediterranen Raumes im 2. Jahrtausend vor Christus und letztlich vielleicht auch die Klärung der Frage um die "barbarischen Keramiken" der "Mykenischen Akropolis" von Aigeira. (Red)

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