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Wien – Roadmovies, ein ursprünglich zutiefst amerikanisches Genre, erzählen immer auch von Initiationen. Die Reise über weites Land birgt das Versprechen eines Neubeginns. Die äußere Bewegung korrespondiert mit der inneren der Protagonisten. Sie lassen den stabilen Hort ihrer Existenz hinter sich oder beginnen, diesen zu hinterfragen, um am Ende als Veränderte woanders anzukommen.

"Le grand voyage/Die große Reise", der Debütfilm des aus Marokko stammenden Regisseurs Ismael Ferroukhi überträgt dieses Szenario auf eine traditionelle Reisebewegung, eine Pilgerfahrt gen Mekka, den Hadsch. Ein schon lange in Frankreich lebender Muslim (Mohamed Majd) will sich den Strapazen stellen, den über 5000 Kilometer weiten Weg mit dem Auto zurückzulegen. Weil er selbst nicht fahren kann, soll ihn sein jüngerer Sohn Réda (Nicolas Cazalé) kutschieren.

Die Konstellation birgt von Beginn an beträchtliches Konfliktpotenzial. Sie verweist auf die Brüche, die innerhalb der Generationen muslimischer Europäer bestehen. Der Vater ist ein schweigsamer und äußerst gläubiger Mann, der sich weit weniger an westliche Verhältnisse angepasst hat als sein Sohn. Nicht nur durch den Umstand, dass Réda eine französische Freundin hat, erregt er das Missfallen des Alten – es fehlt ihm auch das Verständnis für dessen Religion.

Was in der Grunddisposition einigermaßen didaktisch anmutet, wird in der Regie Ferroukhis nicht nur zur zaghaften Geschichte einer Annäherung, sondern auch zur versteckten Komödie, die ohne viel Worte auskommt. Im Inneren des Autos herrscht Schweigen, das nur durch gelegentliche Meinungsverschiedenheiten durchbrochen wird. Gelegenheitspassagiere – ein rätselhaftes bosnisches Mütterchen, ein redseliger Türke – sorgen für Zwischenspiele, die Vater und Sohn dazu zwingen, gemeinsam zu agieren.

"Le grand voyage" plädiert, über eine wechselseitige Transformation, für eine innermuslimische Auseinandersetzung. Einer der großen Vorzüge des Films ist, dass er keiner Figur den Vortritt gibt, auch wenn ihm der Sohn letztlich näher steht. Er wird begreifen, dass sein Vater, ein Analphabet, manche Probleme mit seiner Lebenserfahrung schneller löst als er. Angekommen in Mekka – wo die Behörden ausnahmsweise Außenaufnahmen zuließen – ist Réda schließlich der Fremde. Aus den Massen in weißen Gewändern sticht er mit seinem gelben T-Shirt hervor – eine Figur zwischen zwei Welten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.2.2006)