Foto: Radoarhof/Blasbichler
Jetzt ist die beste Zeit für Kastanien ja auch schon wieder vorbei. Kaum ein Hahn kräht noch danach. Nicht mal ein zweiter Wintereinbruch kann dem noch abhelfen. Da ist es – wenn’s denn schon soweit kommen muss – gleich viel besser, einen Drink zu nehmen.

Es könnte zum Beispiel ein Rum sein, so richtig schön und warm. Oder ein Whisky aus dem Qualitätssegment Single Malt. Rauchig und malzig, mit feiner Orangennote. Wärmt auch ohne Kaminfeuer. Gin, Wodka oder Tequila scheiden ja eher aus, steckt doch in den meisten Fällen nichts anderes drin als industrieller Alkohol mit und ohne Aromen sowie ein erschrecklicher Schuß Zucker. Drum wird ja sowas meist mit diesem Kaugummitouch-Zeug gemixt, von dem die ganzen Alpendiscos übergehen. Naja, wer ein Räuscherl braucht, nimmt halt sein Rüscherl. Die Spirits-Industrie freuts, und die Bull-Shi..., pardon Energiedrinks-Konzerne lachen sich eins.

Es könnte aber auch ganz was anderes sein. Ein Drink aus Edelkastanien etwa. Fragt da jemand: Ja, gibt’s denn das? Kann ich nur sagen: Ja, sicher! Aber: ist natürlich eher schwer zu bekommen. Wer tut sich das schon an, aus Maroni eine Maische zu brauen und daraus einen Schnaps zu brennen? Jaja, die Schweizer natürlich. Gebrannt von Lorenz Humbel aus Stetten. Aber auch ein Südtiroler. Der Radoarhof-Besitzer Blasbichler Norbert aus Feldthurns. Der hats ja auch nicht so schwer, immerhin lebt er inmitten dieser wunderbaren Maronibäume, wie sie so schön am Keschtnweg stehen.

Die beschtn Keschtn, sagt der Volksmund, gibt’s nämlich am Berg. Und zwar im oberen Bereich des Eisacktales zwischen Vahrn bei Brixen und dem Ritten bei Bozen. Hier verläuft in einer Höhe zwischen 500 und 1000 Meter der wunderbare Südtiroler Keschtnweg *). Man braucht nur immer die Sonnenseite suchen – und findet den Schatten der ausladenden und herrlich gewachsenen Maronibäume. Norbert Blasbichler, der ja mittendrin seinen Hof hat, machte daraus einen schönen, erdig-würzigen Schnaps, der einigermaßen so schmeckt, wie man sich einen guten, ehrlichen Wodka wünscht. Dazu brauchts dann kein Red Bull oder was ähnliches.

Nun ist es freilich nicht ganz einfach, einen Schnaps aus Edelkastanien zu destillieren. Aber bekanntlich sind die Schweizer ja sowohl Tüftler als auch Präzisionsmechaniker. Also haben sie – um genau zu sein: es waren derer drei, der Weinpublizist Stefan Keller und der Zürcher Gastronom René Zimmermann, und dann noch Lorenz Humbel als Schnapsbrenner – sich daran gemacht, aus dem Brot der Armen (wie die Maroni früher genannt wurden, weil sie oft genug als Grundnahrungsmittel Verwendung fanden) ein veredeltes und verflüssigtes Gourmetstück zu basteln.

Die Journalistin Ulrike Hart beschrieb in einem Beitrag für den Zürcher „Tages-Anzeiger“ den Produktionsablauf folgendermaßen: „Fünf bis sechs Wochen haben die Maroni in den Dörrhütten auf grossen Rosten über ständig mottendem, aber nicht loderndem Feuer gelegen und so den angestrebten rauchigen Gout angenommen. Ähnlich wie jene Gerste, die auf den schottischen Inseln ihrem köstlichen Endstadium, dem Malzwhisky, entgegenröstet. In einem flachen Korb, dem so genannten Vann, wird die zerstossene Kastanienschale vor den Cascine mit rhythmischen Bewegungen von der Frucht getrennt. Die gebrochenen, geräucherten Früchte kommen anschliessend in die Mühle nach Promontogno, wo sie zu Mehl verarbeitet werden. Das Resultat: Brot, Teigwaren, Vermicelles. Oder auch Schnaps. Ein ‚Alpenwhisky’ hat den Initianten vorgeschwebt.“

Das, kann nach der Verkostung gesagt werden, ist den Schweizern dann auch gelungen. Nun ist der Maronen-Brand auch erst drei Jahre alt, also darf man ohne weiteres annehmen, dass sich dieses noch relativ junge Destillat weiter verdichtet und zu einer durchaus interessanten Spirituose heranreift. Nach Whisky, wenngleich nach einem noch sehr jungen, schmeckt er jetzt schon.

*) Keschtnweg - Wanderweg durch die Kastanienhaine im Eisacktaler Mittelgebirge (Wegverlauf: Vahrn bei Brixen - Feldthurns - Villanders - Barbian - Ritten - Bozen; 60 km lang, 500 - 1.000 m Höhe)