Journalistin und Buchautorin Erica Fischer
Foto: Michaela Bruckmüller
Cover: Ueberreuter
dieStandard.at: In wenigen Tagen präsentieren Sie im Wiener Bruno-Kreisky-Forum Ihr neues Buch über das Leben der kommunistischen Zwillingsschwestern Rosl und Liesl. Im Gegensatz zu Ihren meisten anderen Büchern geht es diesmal nicht explizit um ein jüdisches Schicksal. Was hat Sie dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben?

Erica Fischer: Ich schreibe immer über Dinge, die mich persönlich interessieren, die mir persönlich nahe gehen. Ich saß damals in Griechenland am Strand und plauderte mit meiner Freundin und sie hat mich gefragt, was ich als nächstes machen möchte. Ich sagte, eine österreichische Geschichte schreiben, darauf sie: "Ich habs!". Beim Namen Rosl Breuer hat es bei mir sofort geklingelt, weil ich die beiden Schwestern Anfang der 70er-Jahre persönlich kennen gelernt habe. Ich war sofort Feuer und Flamme für die Idee und dachte, ja, das ist eine Lebensgeschichte, die ich gerne aufschreiben würde. Interessanterweise konnte sich die Rosl Breuer auch an mich erinnern und so war der Kontakt schnell hergestellt.

dieStandard.at: Wie haben Sie die Geschwister bei Ihren Recherchen erlebt?

Erica Fischer: Die zwei Frauen sind dermaßen uneitel, das hat mich sehr beeindruckt. Sie haben eine Mission, sie verstehen, dass sie mit ihrem Leben etwas vorgelebt und vorgelitten haben und sie wollen das, was sie erlebt haben, weitergeben. Sie haben auf alle meine Fragen geantwortet, mir alles an Material zur Verfügung gestellt, was sie haben und finden konnten und es war die unproblematischste Zusammenarbeit, die ich je hatte.

Für mich selber war die Arbeit an diesem Buch auch ganz wichtig zur Aufarbeitung eines Stücks österreichischer Zeitgeschichte, das viel mit mir zu tun hat: Meine Eltern waren in der austrofaschistischen Zeit ebenfalls im Gefängnis und auf diese Weise bin ich auch ihrer Geschichte ein Stück näher gekommen.

dieStandard.at: Ihr bisher größter Erfolg war "Aimee und Jaguar", 1994 geschrieben, in mittlerweile 16 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Sie wurden damit schlagartig einem breiten Publikum bekannt - was hat dieser Erfolg in Ihrem Leben verändert?

Erica Fischer: Der Erfolg war zum einen finanziell interessant – ich denke, ich hätte all die Bücher, die ich nachher geschrieben habe, ohne "Aimee und Jaguar" nicht schreiben können. Er hat mir auch geholfen, Verlage zu finden – ich habe heute, abgesehen davon, dass ich eine gute Agentin habe, kein Problem, in einem Verlag unterzukommen, was wirklich toll ist. Aber es war kein Durchbruch in dem Sinn, dass alle meine Bücher danach gleichermaßen erfolgreich waren.

dieStandard.at: Warum glauben Sie, wurde gerade dieses Ihrer Bücher so erfolgreich?

Erica Fischer: Zum Teil natürlich, weil es gut geschrieben ist, zum Teil aber einfach deshalb, weil es so eine unglaubliche Geschichte ist und verfilmt wurde. Die Liebe in Zeiten des Krieges ist etwas, das die Leute sehr mitreißt, insbesondere, wenn es dann auch noch so einen "Romeo-und-Julia-Aspekt" hat, Jüdin und Nazi, und dann auch noch eine lesbische Liebe ist. Ich habe danach ein Buch geschrieben, das meiner Meinung nach mein Bestes ist - "Die Liebe der Lena Goldnadel", eine Sammlung von zehn jüdischen Geschichten - und das war nicht so erfolgreich. Das zeigt, dass der Buchmarkt nicht voraussehbar ist, man kann keinen Bestseller planen – und das finde ich auch gut so.

Lesen Sie weiter was die Vorliebe der Autorin für jüdische Lebensgeschichten mit der eigenen verbindet

dieStandard.at: Sie haben eine große Vorliebe für jüdische Themen und Lebensgeschichten – ihre Mutter war Jüdin aus Polen, ihre eigenen Eltern wurden von den Nazis vertrieben, ihre Großeltern von den Nazis ermordet. War das der Auslöser für Sie, sich mit dem Schicksal jüdischer Menschen zu beschäftigen?

Erica Fischer: Ich nehme an, ja. Es hat lange gedauert, wie bei vielen meiner Generation: Ich habe erst Anfang der 80er-Jahre, eigentlich sogar erst in Deutschland, begonnen, mich über das Leben anderer mit meinem eigenen Hintergrund und der Geschichte meiner Eltern und Großeltern zu befassen. Da war "Aimee und Jaguar", wie später auch die Geschichte von Rosl und Liesl, ungemein hilfreich, um mich anzunähern. Es ist ganz schwer, sich geradlinig mit der eigenen Geschichte zu befassen, wenn sie so grauslich ist. Die Geschichte der anderen zu schreiben hat mir geholfen und mich lockerer gemacht, mich dem zu stellen.

dieStandard.at: Leben Sie selbst den jüdischen Glauben?

Erica Fischer: Nein, weder meine Großeltern, noch meine Eltern oder ich hatten oder haben irgendetwas mit Religion zu tun. Meine Identität als Jüdin bezieht sich nur auf das Kulturelle, die kollektive Erinnerung der Verfolgung und die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft. Ich finde es eine ungeheure Zumutung, dass wir uns heute ständig mit Religion beschäftigen müssen: Ich nehme zur Kenntnis, dass die Religionen in den letzten Jahren derart missbraucht wurden, um Kriege anzufachen und am Kochen zu halten, aber ich finde das unerträglich.

dieStandard.at: Sie sind in England geboren, in Wien aufgewachsen und leben heute als freie Autorin in Berlin. Wenn frau Ihren Lebenslauf anschaut, ist da aber noch viel mehr: Journalistin, Dolmetscherin, Lektorin, Fast-Politikerin und Mitgründerin der Neuen Frauenbewegung. Wie sehen Sie selbst ihr buntes Leben, wenn Sie zurückblicken?

Erica Fischer: Ich selbst habe nicht den Eindruck, dass mein Leben bunt ist und war. Ich gehe den Weg, den ich gehen muss, und die Zeit, wo man die Entscheidungen trifft, ist sehr maßgeblich: Mich haben die späten 60er- und die 70er-Jahre ungemein politisch geprägt, das waren Zeiten, wo man nicht so zielstrebig eine Karriere angestrebt hat, wie man das heute tut und muss. Ich hab das getan, was mir entsprochen hat und so bin ich halbwegs zufrieden. Obwohl ich mir auch immer wieder sag: Hm, ich hätte auch was anderes machen können. Aber ich denke, es ist auch gut, immer unzufrieden zu sein, das treibt voran.

Lesen Sie weiter über Erica Fischers turbulente Zeit in der Neuen Frauenbewegung

dieStandard.at: Als Mitgründerin der Frauenbewegung Anfang der 70er-Jahre haben Sie viel bewegt, unter anderem die Buchhandlung "Frauenzimmer" und die Zeitschrift "AUF" mit ins Leben gerufen. Wie erlebten Sie diese turbulente Anfangszeit?

Erica Fischer: Ich bin über meinen damaligen Freund 1970/71 mit Leuten in Kontakt gekommen, die sich mit der Thematik beschäftigt haben – das waren damals Männer und Frauen. Irgendwie hat da was in mir "klick" gemacht und ich hab gespürt, dass das eine Frage ist, die mich ganz tief trifft, die mir ganz nahe geht. Ohne zu wissen, wie mir geschah, habe ich mich dann persönlich unheimlich schnell entwickelt: Ich war eine extrem schüchterne und einsame junge Frau und plötzlich hab ich gemerkt, dass ich vor großen Gruppen reden und Vorträge halten kann – das hat irgendwie aus mir heraus gesprochen.

Ich habe damals mein ganzes Unbehagen in der Welt mit dem Patriarchat erklärt und das hat mir dafür so den "Drive" gegeben. Erst in den 80ern dann hab ich begriffen, dass das Patriarchat schon an einigem Schuld ist, dass ich mich als Frau in dieser Gesellschaft so unwohl fühle, aber dass es nicht alleine dafür verantwortlich ist, sondern dass das auch sehr viel mit der Ausgrenzung meiner Familie zu tun hat.

dieStandard.at: Wie war die erste Zeit für Sie in der Frauenbewegung? Es war ja nicht sehr einfach, sich mit diesen Anliegen durchzusetzen...

Erica Fischer: Wir wurden viel beschimpft und missverstanden, aber das hat mir nichts gemacht, irgendwie hab ich die Kraft aus der Opposition gezogen. Ich war auch eine, die sich immer allen Diskussionen gestellt hat: Ich bin zum CV gegangen, habe mich Männergruppen gestellt und hab mir immer gedacht, ich lerne dabei, meine Argumentationslinie zu schärfen – etwas, das mir nur nützen kann. Letztlich war mir das Etikett "Feministin", das ich dann drauf hatte, später, als ich beruflich ganz gerne sesshafter geworden wäre und eine Anstellung zum Beispiel beim ORF angestrebt hätte, dann hinderlich. Ich wurde als radikale Feministin abgestempelt, mit der man besser nichts zu tun haben will – wobei ich rückblickend nie ausgesprochen radikal war.

dieStandard.at: Wenn Sie sich die Entwicklung des Feminismus bis heute anschauen – was hat sich aus Ihrer Sicht verändert? Haben sich die Hoffnungen erfüllt, für die Sie damals auf die Straße gegangen sind?

Erica Fischer (lacht): Da eine klare Antwort zu geben ist ungeheuer schwer. Unsere Hoffnungen waren natürlich gigantisch: Wir wollten das Patriarchat abschaffen und eine egalitäre Gesellschaft schaffen, und den androgynen Menschen und so weiter – das hat sich natürlich nicht bewahrheitet, aber es war auch eine Illusion, zu glauben, dass man das alles in einer Generation schaffen kann. Ich sehe die Entwicklung generell nicht so negativ: Einerseits sehe ich sehr wohl die Männer- und Frauenbilder, die sich wieder in extremer Weise polarisieren, was ich erschreckend finde. Andererseits denke ich, die jungen Männer haben viel begriffen und sind anders geworden, auch sanfter, und respektieren die Frauen viel mehr als gleichberechtigt. Gleichzeitig hat das natürlich auch eine Verschärfung des Kampfes um die spärlicher werdenden Arbeitsplätze gebracht, vor allem in den höheren beruflichen Positionen. Ökonomisch hat sich, denke ich, nichts gebessert, wahrscheinlich ist die Kluft zwischen Frauen und Männern weltweit hier sogar tiefer geworden. Es hat sich rein gefühlsmäßig für mich auch in Bezug auf Gewalt gegen Frauen, trotz aller Frauenhäuser, nichts verändert. Frauen sind in viel größerem Ausmaß als damals Opfer von Gewalt: als Flüchtlinge, Vergewaltigungsopfer, Zwangsprostituierte – da ist alles härter geworden.

In unserer Gesellschaft sind die Frauen, vor allem die gut ausgebildeten, aber trotz allem auf dem Vormarsch. Wenn sich die Frauen, die heute etwas durchsetzen, nicht Feministinnen nennen wollen, weil sie nicht als "radikale Emanzen" gelten wollen, dann finde ich das zwar ärgerlich, aber letztendlich nicht so wichtig. Da haben die Medien ganze Arbeit geleistet: Dahinter steckt eine gezielte, über Jahrzehnte gehende Medienarbeit zur Diskreditierung von Feministinnen, die sehr erfolgreich war. Angeblich hängt im Museum der deutschen Geschichte in Bonn als Symbol zum Thema Feminismus und Frauenbewegung eine lila Latzhose – nie in meinem Leben hab ich eine lila Latzhose getragen!

dieStandard.at: Sie hatten als Frauenaktivistin auch immer wieder Kontakt zu Johanna Dohnal – wie würden Sie sie beschreiben?

Erica Fischer: Ich war eine von denen, die immer gegen die Sozialdemokratie gewettert hat – die war ja unsere Kontrahentin in den 70er-Jahren. Insofern war die Johanna Dohnal auch immer eine Person, an der ich mich gerieben habe: wir, die radikalen Feministinnen, außen – sie, die Parteifrau, die sich funktionalisieren lässt. Aber rückblickend halte ich sie für eine ganz tolle Politikerin und geradlinige Person und ich habe großen Respekt vor ihr. Meine große Kritik an der Politik der SPÖ war immer, dass sie unsere Ideen aufgreift, vereinnahmt und verwässert – rückblickend betrachte ich es als Aufgabenteilung: Wir haben auf der Straße radikale Forderungen gestellt und sie haben die Forderungen, die aus der Gesellschaft kamen, aufgegriffen und in Parteiprogramme gegossen. Was heutzutage fehlt, ist die Straße.

dieStandard.at: In den späten 80er-Jahren haben Sie versucht, aktiv in die Politik einzusteigen und ließen sich für die Grünen als Nationalratskandidatin aufstellen, letztlich hat es aber mit dem Einzug nicht geklappt. Bedauern Sie das heute?

Erica Fischer: Das ist eine schwierige Frage. Zusätzlich zu Waldheim war die missglückte Kandidatur ein Mitgrund, 1988 aus Österreich wegzugehen. Ich wäre sehr gerne bis in den Nationalrat gekommen – ich bin ja bei den Wiener Landtagswahlen an zweiter Stelle gewählt worden. Ich war dabei, weil ich etwas als Feministin voranbringen wollte und die wollten mich haben, weil ich eine attraktive Kandidatin war. Aufgrund meiner Rede bei den Wiener Landtagswahlen der Grünen wurde ich dann an die zweite Stelle gewählt. Ich bin gegen den Peter Pilz angetreten und hatte mehr Stimmen als er und dann setzte ein unglaubliches Kesseltreiben ein: Es hieß, Peter Pilz ist unverzichtbar und unsere ganze Liste wurde gekippt. Das hatte mit mir persönlich nichts zu tun, aber es war halt ein Abschneiden einer Möglichkeit. Damals war ich frisch verliebt und bin mit fliegenden Fahnen mit meinem Mann nach Deutschland gegangen, aber es wäre interessant gewesen, zu sehen, wie ich mich auf diesem Parkett geschlagen hätte.

dieStandard.at: Was sind Ihre nächsten Projekte?

Erica Fischer: Ich möchte gerne meine eigene Familiengeschichte schreiben, aber nicht wie meine bisherigen Bücher als Sachbuch, sondern in einer literarischen Form, ich möchte einfach etwas Neues probieren. Ich habe ein dreimonatiges Aufenthaltsstipendium in Krakau bekommen, weil die Geschichte ja auch viel mit Polen zu tun hat, und lerne seit zwei Jahren Polnisch. In Krakau möchte ich dann nur schreiben, und schauen, was aus dem Vorhaben wird. Es ist eine ganz neue Art zu schreiben für mich, in die ich mich da hinein begebe, und deshalb auch mit vielen Unsicherheiten verbunden - ein Aufbruch zu neuen Ufern.
(Das Interview führte Isabella Lechner.)