Das Moskauer Duo Messer Chups begeisterte im Wiener Club Ost mit retro-avantgardistischem Rock 'n' Roll zwischen Weltall und Monsterfilmen.

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Wien - Historisch betrachtet hat sich der Satz ja nicht ganz bewahrheitet: "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen." Immerhin verdanken wir dem untergegangenen Weltreich am Anfang des 20. Jahrhunderts aber nicht nur die russische Revolution. Zwei Jahre später sorgte Klangforscher Leo Theremin mit der Erfindung des ersten rein elektronischen Musikinstruments (das Theremin) auch für eine kulturelle.

Auch die Tatsache, dass "der Russe" 1957 mit dem Satelliten Sputnik die Weltraumfahrt einleitete, interessiert uns im Zusammenhang mit dem Wiendebüt des russischen Duos Messer Chups im Club Ost gleich ums Eck vom "Russendenkmal" am Schwarzenbergplatz sehr.

Angst

Von wegen mit einem Schritt in die Zukunft, mit zwei Schritten aber zurück in jenes goldene Zeitalter, in dem man Zukunft noch nicht gleich mit Angst in Verbindung brachte.

Immerhin verweisen nicht nur die wie die Beats vom Band kommenden, von Lydia Kavina, der Enkelin des Erfinders, eingespielten Theremin-Sounds einer singenden Säge zu filmisch im Bühnenhintergrund abgespulten (gerade auch damals extrem populären sowjetischen) Science-Fiction-Filmen aus den 50er-Jahren auf eine Zeit, in der die Moderne gerade erst erfunden wurde. Spätestens in dieser Ära fand auch im Osten selbst ein radikales Umdenken statt. Und zwar in Richtung Westen.

Soundtrackkomponisten

Die bei den Moskauer Messer Chups vom Soundtrackkomponisten und sonst auch bei seiner poppigeren Zweitband Messer Für Frau Müller tätigen Oleg Formchenkow bediente, extrem verhallte Surfgitarre verweist dabei aufs gelobte Land Kalifornien und die möglicherweise beständigere Revolution des Rock'n'Roll ebenso, wie hier auch dem russischen Komponisten und Bandleader Vyacheslaw Mescherin Tribut gezollt wird.

Der wurde 1959 von der sowjetischen Führung damit beauftragt, die Internationale modern mit elektronischen Instrumenten einzuspielen. Was zu extrem bizarren Balalaika-Sounds aus der Küchenmaschine und einem sowjetischen Musiktrend führte, der russische Matrosen jahrzehntelang an den Meeresküsten des Mars stranden ließ.

Die Internationale

Eine Tonbandaufzeichnung der Internationalen wurde fortan als Grußbotschaft für ferne Zivilisationen mit dem Sputnik ins All geschossen. Später sollte diesbezüglich übrigens von amerikanischer Seite mit Chuck Berrys Johnny B. Goode gekontert werden. Bisher keine Reaktion.

Die Messer Chups stellen all diesem nostalgischen Futurismus live wie auch auf ihrem Album Crazy Price (Vertrieb: Trost) als Mannfrau-Duo an Gitarre und Bass recht heftig mit Instrumentals nach. Und mit den Songtiteln im Bannkreis des Kosmodroms Baikonur und von Johnny & The Hurricanes wird auch darauf hingewiesen, dass die Moderne herauf ins 21. Jahrhundert möglicherweise auch ihre Schattenseiten und dazu garstige Aliens und Gangster, die mit technischem Vorsprung die Weltherrschaft erringen wollen, liefern wird: Ghost Rides To West, Fantomasofobia, Bing Bang Bang Bong Kong, Satan Jeans. Höhepunkt: der Nussknacker als Tchaikovsky Beat. Weit draußen! (DER STANDARD, Printausgabe, 22.2.2006)