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Zar Alexander II. Nikolajewitsch in jungen Jahren.

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Späte Fotographie von Zar Alexander II.

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St. Petersburg/Wien – Vor 125 Jahren, am 13. März 1881 (1. März nach dem damals in Russland noch gültigen Julianischen Kalender) fiel Zar Alexander II. in St. Petersburg einem von populistisch-anarchistischen Kreisen verübten Attentat zum Opfer. Die Attentäter gehörten zur Organisation "Narodnaja Wolja" ("Volkswille"), einem der extremistischsten Ableger der Gesellschaft "Land und Freiheit". Das Attentat der "Narodniki", das von der russischen Intelligenz im In- und Ausland bejubelt wurde, kam Russland teuer zu stehen: statt dass es dem Volk nach dem Willen der Proponenten eine neue Ära der Freiheit brachte, ließ es die finsterste Reaktion triumphieren.

Das Zeitalter von Zar Nikolaus I. (1825-55) hatte trotz polizei- und beamtenstaatlicher Überwachung eine starke, wenn auch zum Teil nichtöffentliche Entfaltung geistigen Lebens und eine erste Blüte der Dichtkunst – man denke an Nikolai Gogol und Alexander Puschkin – gebracht. Kennzeichnend für die Intelligentia wurde seitdem auch eine an Freiheitsforderungen orientierte systemkritische Oppositionshaltung.

Zar Alexander II. reformierte Russland

Unter dem Sohn von Nikolaus, Alexander II. (seit 1855), begann eine tiefgreifende Umwandlung Russlands. Das alte Prinzip der Ausschließung fremder Ideen und Institutionen wurde aufgegeben. Zum Teil unter dem Einfluss der von Alexander Herzen (1812-70) in London gedruckten Emigrationszeitschrift "Kolokol" ("Die Glocke"), die in Russland eingeschmuggelt wurde und dort sogar Hofkreise beeindruckte, wurde eine Reihe von Reformgesetzen erlassen: 1861 die Bauernbefreiung von der Leibeigenschaft (noch vor Aufhebung der Sklaverei in den USA), begrenzte Universitätsautonomie, landwirtschaftliche Selbstverwaltung (Semstwo), Modernisierung der Justiz mit Milderung von Ausnahmegesetzen, Lockerung der Zensur, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.

Mit diesen Reformen verbundene Hoffnungen und Enttäuschungen führten zu einer Radikalisierung der Opposition gegen das zaristische Regime, insbesondere der Organisation "Volkswille". Diese startete 1878 eine Attentatswelle. 1879 beschlossen die "Narodniki" die Ermordung von Alexander II; denn der Zar und seine Günstlinge repräsentierten für sie die "Tyrannei". Dies geschah einerseits als Folge ihres Scheiterns, "unter die Bauern zu gehen", andererseits wegen der zahlreichen Verhaftungen und Prozesse, die nach den bis dahin unkoordinierten Attentaten die Reihen der "Narodniki" gelichtet hatten.

Mehrere Attentatsversuche

Alexander II. hatte 1866 Anschläge des Nihilisten Karakasow und 1867 auf der Pariser Weltausstellung des Polen Berezowski überlebt. Von 1879 bis 1881 schlugen insgesamt sechs Attentate der "Narodniki" auf den Zaren fehl, darunter zwei auf den Hofzug zwischen der Krim und Moskau, in einem Fall scheiterte ein Sprengstoffanschlag auf den Winterpalast in St. Petersburg, der allerdings mehrere Tote forderte.

Doch dann gelang es den Revolutionären, einen ihrer Anhänger als Sekretär in die zaristische Geheimpolizei einzuschleusen. Dieser konnte seine Auftraggeber über bevorstehende Verhaftungen und über die Bewegungen des Zaren informieren.

Am 13. März 1881 wollte Alexander eine Versammlung von Notablen einberufen, um geplante Reform-Gesetzentwürfe zu erörtern. Nach einigem Zögern beschloss er, vorher den üblichen Sonntagsnachmittagsbesuch bei der Militärparade der Kavallerie abzustatten. Die Attentäter hatten einen Tunnel unter einer Stelle am Newski-Prospekt gegraben, die der Zar auf der Rückkehr in den Winterpalast passieren musste, und ihn mit Sprengstoff gefüllt.

Reserveattentäter

Sicherheitsbeamte wählten aber einen anderen Weg: Der von berittenen Kosaken begleitete Schlitten des Zaren befuhr eine Straße am Katharinenkanal, wo jedoch mehrere mit Nitroglyzeringranaten ausgerüstete "Reserveattentäter" warteten. Sofia Perowskaja, die "Organisatorin" des Attentats, gab von der anderen Seite des Kanals ein Zeichen, der 19-jährige Nikolai Rysakow warf eine Granate gegen den Schlitten des Zaren.

Der Schlitten wurde beschädigt, ein Passant getötet, mehrere weitere verletzt. Als Alexander ausstieg, um den Schaden zu besehen, warf der junge Adelige und Technikstudent Ignatij Grinewitzkij eine weitere Granate vor die Füße des Zaren. Der Attentäter war sofort tot, der Zar erlag eine Stunde später im Winterpalast den erlittenen Verletzungen. Zwei weitere Bombenwerfer waren nicht zum Zug gekommen.

Verhaftungswelle folgte Jubel der Attentäter

Der Jubel der Narodniki über das endlich gelungene Attentat währte nur kurz. Der verhaftete Rysakow war den polizeilichen Folterungen nicht gewachsen und verriet den Befragern Namen und Signalements aller Beteiligten. Eine Verhaftungswelle folgte. Sechs Haupträdelsführer wurden von einem Militärgericht verurteilt, fünf von ihnen, darunter Sofia Perowskaja, öffentlich gehängt. Nur die Angeklagte Gesja Gelfman entging dem Galgen, weil sie schwanger war, sie starb ein Jahr später im Gefängnis. Ein verdächtiger Marineoffizier wurde erschossen, zahlreiche andere zu Gefängnisstrafen und Arbeitslager verurteilt.

Die Folgen des Attentats für Russland waren verheerend: Alexanders gleichnamiger Nachfolger (III.) kehrte zur staatlichen Repressionspolitik zurück. Alle von seinem Vater gebilligten Reformen, darunter auch das Projekt einer indirekt gewählten beratenden Volksvertretung, wurden aufgehoben. Vom Oberprokurator des Heiligen Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche, Konstantin Pobedonoszew, beeinflusst, wurde die Autokratie verstärkt.

Die Bestätigung der baltischen Privilegien wurde verweigert, die sprachliche und institutionelle Russifizierung der nichtrussischen Randländer (Polen, Ostseeprovinzen, Finnland) verstärkt. Agenten und Spitzel der politischen Polizei (Ochrana) kontrollierten vermehrt Schulen, Universitäten, Presse und Justiz.

Progrome gegen jüdische Bevölkerung

Die von Alexander II. gemilderten Ausnahmebestimmungen gegen die Juden wurden wieder verschärft. Es kam zu einer Welle von Pogromen, zuerst in der Region von Cherson, dann in Kiew, Odessa und weiteren 160 Orten in Südrussland, gegen Ende 1881 auch in Warschau, das damals die Hauptstadt des von Russland beherrschten Kongress-Polen war.

Der Ausdruck "Pogrom" (russisch "Verwüstung") fand damals Eingang in alle europäischen Sprachen als Bezeichnung für unmotivierte Angriffe auf hilflose Minderheiten. Die Ausschreitungen führten zu einer Fluchtbewegung aus Russland, so nach Deutschland und Österreich-Ungarn. (APA/Red)